Regierungsrätin Jacqueline Fehr fordert Intervention beim Vatikan
«Wir brauchen keine Pseudo-Gerichtsbarkeit»

Die Zürcher Religionsministerin rechnet mit der Kirchenjustiz ab und fordert Reformen. Wenn die Bischöfe nicht handeln, behält sie sich vor, selber aktiv zu werden.
Publiziert: 17.09.2023 um 14:42 Uhr
1/5
«Die Kirche hat zu lange weggeschaut», sagt die Zürcher Religionsministerin Jacqueline Fehr.
Foto: Keystone
Raphael_Rauch (1).jpg
Raphael RauchBundeshausredaktor

Für Religionspolitik sind in der Schweiz die Kantone zuständig. Nirgendwo erhält die katholische Kirche – über Kirchensteuern, Unternehmenssteuern und Staatsbeiträge – so viel Geld wie im Kanton Zürich: jährlich knapp 165 Millionen Franken. Justizministerin Jacqueline Fehr (60) ist zugleich Religionsministerin.

Frau Fehr, hat der Staat bei der katholischen Kirche zu lange weggeschaut?
Jacqueline Fehr: Nein, die Kirche hat zu lange weggeschaut. Was mich beunruhigt: Es gibt noch zu viele Menschen in der Kirche, die denken, sie stehen über dem Staat. Unsere Gesetze gelten für alle – auch für Priester und Bischöfe.

Was bedeutet das konkret?
Wir brauchen keine kircheninterne Pseudo-Gerichtsbarkeit. Es gibt die Staatsanwaltschaft und die Gerichte, und es gibt die unabhängigen Opferberatungsstellen. Ich sehe die innerkirchlichen Opferberatungsstellen sehr kritisch. Letztlich sind sie Teil eines geschlossenen Systems mit internen Regeln und Verfahren. Betroffene müssen sich an unabhängige Stellen wenden können, damit sie den Kreis der Abhängigkeiten durchbrechen können.

Was sollte nun geschehen?
Jetzt braucht es energische Schritte. Ich erwarte, dass die Bischofskonferenz in Rom einfordert, dass auch die dortigen Archive geöffnet werden. Die Aufarbeitung muss weitergeführt werden. Ich erwarte, dass die kirchenrechtlichen Reglemente überarbeitet und den rechtsstaatlichen Prinzipien angepasst werden.

Woran denken Sie da im Einzelnen?
Zum Beispiel muss das kircheninterne Personalrecht sicherstellen, dass Mitarbeitende und Kirchenmitglieder im Konfliktfall ihre Rechte wahrnehmen können. Zudem braucht es eine klare Gewaltenteilung. Ohne diese bleibt die Kirche eine Hochrisikozone.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Sie rütteln da an einem Tabu: Die katholische Kirche ist eine absolutistische Monarchie mit dem Papst an der Spitze.
Genau deshalb ist sie eine Hochrisikozone. Sie bleibt im Unfehlbarkeitsdogma stecken und kennt keine Fehlerkultur. Sie tendiert dazu, alles zu vertuschen und zu verdecken. Wir brauchen einen Schweizer Katholizismus von heute, nicht einen römischen Katholizismus von vorgestern.

Rom lässt sich von staatlichen Stellen eher beeindrucken als von den eigenen Bischöfen und Gläubigen. Weshalb schicken Sie keinen Brief nach Rom?
Wenn die Bischöfe mich bitten, schreibe ich sofort einen Brief nach Rom. Aber ich bin der Meinung: Wir dürfen die Kirche nicht aus der Verantwortung entlassen. Eine Organisation verändert sich nur, wenn sie selbst aktiv wird und sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzt. Ebenso klar ist aber: Wenn sich die Bischöfe nicht in der Lage sehen, selbst zu handeln, behalten wir uns vor, aktiv zu werden.

Sollte der Bund intervenieren, etwa über die Schweizer Botschaft im Vatikan?
Ich würde das begrüssen. Aber grundsätzlich sehe ich die Kirche in der Pflicht. Es ist wie bei einem Sportverband: Es ist nur die halbe Lösung, wenn sie von aussen kommt.

Persönlich: Jacqueline Fehr

Jacqueline Fehr (60, SP) ist seit 2015 Regierungsrätin des Kantons Zürich, wo sie die Direktion der Justiz und des Innern leitet. Hierzu gehören auch Religionsfragen.

Jacqueline Fehr (60, SP) ist seit 2015 Regierungsrätin des Kantons Zürich, wo sie die Direktion der Justiz und des Innern leitet. Hierzu gehören auch Religionsfragen.

Im Kanton Zürich gibt es bald Verhandlungen wegen der Staatsbeiträge für die anerkannten Religionsgemeinschaften. Es geht um insgesamt 50 Millionen Franken pro Jahr. Werden Sie an deren Auszahlung stärkere Bedingungen knüpfen?
Ich rechne damit, dass der Kantonsrat das einfordern wird. Auflagen bei den Staatsbeiträgen sind ein wirksamer Hebel, um dem Zaudern bei den Reformen ein Ende zu setzen. Aber aufgepasst: Die Gelder gehen nicht an die Bischöfe, sondern an die staatskirchlichen Kirchgemeinden.

Nach wie vor ist das Privatleben von Seelsorgenden ein Thema bei Vorstellungsgesprächen. Ist jemand schwul, lesbisch oder geschieden, kann das zum Problem werden.
Das ist ein No-Go – in der Schweiz darf das nicht passieren. Das staatliche Recht steht über dem Kirchenrecht.

Die katholische Kirche diskriminiert Frauen und begründet es mit theologischen Argumenten, in die sich der Staat nicht einmischen soll. Wie gehen Sie damit um?
Ich bin weder Mitglied der katholischen Kirche, noch bin ich katholisch erzogen worden. Es ist für mich Ausdruck einer anachronistischen, verqueren Kultur, Frauen zu diskriminieren. Ich stärke jeder Frau den Rücken, die sich in der katholischen Kirche für Reformen einsetzt.

Alle paar Jahre stellt sich die Frage: Sollen Unternehmen Kirchensteuern zahlen oder nicht. Was sagen Sie?
Das ist eine hypothetische Frage. Mir ist die Gegenwart wichtiger. Die Kirche muss jetzt handeln. Wir brauchen einen Katholizismus der Gegenwart, damit die Kirche nicht in der Hochrisikozone bleibt. Geschlossene Systeme sind toxisch.


Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?

Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?