Editorial über den Missbrauchsskandal und die Mitte
Eine verpasste Chance

Die vormalige CVP könnte im Skandal der katholischen Kirche eine konstruktive Rolle spielen – doch setzt die Partei auf Schweigen. Schliesslich herrscht Wahlkampf.
Publiziert: 17.09.2023 um 10:09 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2023 um 07:49 Uhr
Gerhard Pfister, Parteipräsident der Mitte.
Foto: keystone-sda.ch
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Gott ist noch lange nicht tot. Mehr als ein Drittel der Schweizer Bevölkerung ist katholischen Glaubens. Gewiss, ein beträchtlicher Teil dieser Menschen hat sich im Alltag von der Kirche abgewandt, für manche ist die Konfession zu einem leeren Bekenntnis auf der Steuererklärung geworden. Kritik am Klerus gilt als modern. Der Zeitgeist ist frei von Religion.

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Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, für wie viele Schweizerinnen und Schweizer der katholische Glaube – von der Taufe über Erstkommunion und Heirat bis zum Tod – noch immer ein sinnstiftendes Fundament ihres Lebens bildet. In einer Phase weltweit zunehmender Unfreiheit, apokalyptischer Umweltnachrichten und radikalen Islams gibt die Institution Kirche vielen Zeitgenossen Halt. Die Predigten spenden Trost im Weihrauchduft.

Für all diese Menschen bedeutet das nun publik gewordene Ausmass des Missbrauchs in der Kirche eine Erschütterung; die mutmasslichen Täter haben mit ihrem Handeln nicht nur ihre Opfer verletzt, sondern auch die spirituelle Heimat vieler Christinnen und Christen beschädigt.

Diese Wunden werden nur langsam heilen, das zerstörte Vertrauen wird nicht über Nacht zurückkehren. Ob die Aufarbeitung durch Justiz und kirchliche Stellen dafür genügt, steht in den Sternen.

Es gäbe aber eine weltliche Kraft, eine klug geführte politische Partei, die eine konstruktive Rolle spielen und sich vermittelnd einbringen könnte: Die Mitte trägt als christlich-demo-kratische Volkspartei das Erbe der katholischen Schweiz in sich. Die vormalige CVP hat die romtreuen Gefilde mit ihren Klöstern, Barockkirchen und Prunk-Altären einst in den Schoss der Eidgenossenschaft geführt.

Mitte-Präsident Gerhard Pfister aber, der sonst so wortgewandte Zuger Nationalrat und Akademiker, übt sich in diesen Tagen, wenn es um das Thema Missbrauch geht, lieber in öffentlichem Schweigen. Denn am 22. Oktober wird gewählt, auf der Zielgeraden will der Taktiker nichts riskieren. Also schaltet man, um den von Umfragen prophezeiten Vorsprung gegenüber der FDP nicht zu verlieren, auf «low profile». Die Parteispitze verspielt damit eine historische Chance.

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