Das tödliche Unglück in Bremgarten AG, bei dem der junge Soldat Justin M. (†22) sein Leben verlor, beschäftigt die Schweiz. «Aus derzeit unbekannten Gründen löste sich in einem Militärfahrzeug ein Schuss aus einem Sturmgewehr und traf einen Armeeangehörigen am Kopf», schrieb die Armee in einem Communiqué am Dienstagmorgen. Nachdem die Alpine Air Ambulance ihn ins Spital geflogen hatte, starb der junge Mann. Seine Familie ist überzeugt, dass den Sohn keine Schuld an seinem Ableben trifft. Die Anteilnahme in den sozialen Medien ist riesig.
Seit diesem schockierenden Vorfall wird seitens Militär nichts mehr kommuniziert. Was genau bei diesem Schiessunfall geschehen ist, wird jetzt von der Militärjustiz abgeklärt. Verschiedene Anfragen von Blick liefen ins Leere. Klar ist: Eine oder mehrere grundsätzliche Sicherheitsvorschriften dürften nicht eingehalten worden sein.
Dieser Auffassung ist auch Oliver Müller (63). Der gebürtige Deutsche ist Präsident des Infanterieschützenvereins Gonten AI. Der Schützenmeister ist zudem Obergefreiter ausser Dienst der deutschen Armee. Ein Mann, der sich mit Waffen auskennt.
Bremgarten weckt dunkle Erinnerungen
«Dieser Vorfall ist sehr tragisch. Er geht einem durch Mark und Bein», sagt Müller nachdenklich. Bei ihm und in der ganzen Ostschweiz weckt der Vorfall in Bremgarten unweigerlich dunkle Erinnerungen an den tragischen Tod des Rappers «Shame» im Jahr 2009. Sein bester Freund erschoss ihn aus Versehen auf dem Parkplatz in Bernhardzell SG, nachdem die beiden zusammen das «Obligatorische» (Anm. d. Red.: Das ist die sogenannte Bundesübung, die alle Angehörigen der Armee einmal im Jahr schiessen müssen) geschossen hatten. Der Grund: Der Schütze machte nach dem Schiessprogramm keine Entladekontrolle. «Ich Tubel han min beschte Kolleg verschosse», sagte der Angeklagte nach der Tat immer wieder.
«Es muss menschliches Versagen gegeben haben»
Sicherheit ist für Müller das A und O – sei das nun im Militär oder im Schiessstand. «Es ist kein ungefährlicher Sport», gibt er zu bedenken. Darüber spekulieren, was im Militärfahrzeug auf dem Kasernenareal in Bremgarten am Dienstagmorgen geschehen ist, möchte Müller nicht. Aber: «Auf irgendeiner Ebene muss es ein menschliches Versagen gegeben haben, sonst wäre so ein Unfall gar nicht möglich. Es muss ein Fehler in der Manipulation gelegen haben.»
Vier goldene Regeln
Mit «manipulieren» meint man im Militär- und im Fachjargon mitunter das Laden und Entladen sowie den Umgang mit Störungen am Gewehr. Dafür gibt es verbindliche Regeln, wobei nur schon das Befolgen der Nummer eins eine Vielzahl von Schiessunfällen hätte verhindern können: Alle Waffen sind immer als geladen zu betrachten!
Hinzu kommt eine Entladekontrolle, die nach jedem Schusswaffengebrauch in der Truppe gemacht werden muss. Diese wird entweder von einem Unteroffizier oder einem Offizier durchgeführt und hat das Ziel, sicherzustellen, dass niemand mehr eine Patrone im Lauf «vergessen» hat.
PSK, PSK, PSK
Auch die sogenannte PSK – die persönliche Sicherheitskontrolle – wird Rekruten und Soldaten derart eingebläut, dass sie nachts fast schon davon träumen. Bei jedem Ablegen und Aufnehmen der Waffe wird zuerst kontrolliert, ob das Magazin leer ist. Dann wird mit einem Finger der Verschluss nach hinten gezogen und in die Patronenkammer geschaut. So vergewissert man sich, dass sich weder im Magazin, noch in der Patronenkammer etwas befindet (siehe Video).
Ob die Sicherheitsregeln im Fall Bremgarten eingehalten wurden, wird die Untersuchung der Militärjustiz zeigen. Für Müller ist auch in Zukunft klar: «Über jede Schiesssaison, die wir unfallfrei beenden können, freuen wir uns.»