Tragödie um Rapper Shame
Keine Strafe für Todesschützen

Nach dem «Obligatorischen» löst sich ein Schuss: Er trifft Fabian H., bekannt als Rapper Shame, tödlich am Kopf. Sein bester Freund sass heute auf der Anklagebank. Er kommt ohne Strafe davon.
Publiziert: 30.06.2011 um 17:58 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:41 Uhr
Von Sandro Inguscio und Sidonia Küpfer

Mit Tränen in den Augen betritt Kenny G.* (30) heute Morgen das Kreisgericht in St. Gallen. Er hat bei einem Unfall nach dem «Obligatorischen Schiessen» 2009 seinen besten Freund getötet. Ein Schuss löst sich aus seinem Sturmgewehr und trifft Fabian H. (†27), bekannt als Rapper Shame, am Kopf.

Jetzt hat das Gericht sein Urteil gesprochen. Kenny G. ist zwar der fahrlässigen Tötung schuldig, wird aber nicht bestraft. Er sei bereits genug bestraft, sagte der vorsitzende Richter bei der Urteilseröffnung. Das Kreisgericht St. Gallen sehe deshalb von einer Strafe ab.

Der verantwortliche Schützenmeister, der ihn am Obligatorischen betreut hatte, wird wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 120 Franken verurteilt.

Gebrochener Mann

Immer wieder weint Kenny G. vor Gericht: Er anerkenne seine Schuld, denn er habe die Waffe getragen, als sich der Schuss löste. «Ich fühle mich verantwortlich.»

Fabian und Kenny kannten sich seit der Oberstufe: «Er war wie ein Bruder für mich. Er war mein bester Freund.» Gemeinsam hatten sie bis zum Tod des Rappers eine Band. Fabian ging bei Kenny zuhause ein und aus. Seit seinem Tod ist alles anders: «Alles ist weg. Alles fehlt», sagt Kenny vor Gericht.

«Ich schoss nie gerne»

Dann erzählt Kenny, der sich zum Sozialbegleiter ausbilden lässt, wie es zum tragischen Unfall kam: Obwohl er 2001 die Infanterie-Rekrutenschule abgeschlossen hat, ist Kenny ein ungeübter Schütze. Fünf Jahre lang hat er nicht mehr geschossen: «Ich schoss nie gerne. Ich habe lieber die Bussen bezahlt.» Wegen Rückenproblemen stellte er einen Antrag auf Untauglichkeit und habe im Grunde nur noch auf den Bescheid gewartet.

«Ich traute mir das Schiessen nicht mehr zu», blickt Kenny zurück. Am Unglückstag begleitet ihn deshalb der Vater seiner damaligen Freundin, der Mitangeklagte Manfred B.* (48) zum Schiessstand in Bernhardzell, wo er Schützenmeister ist. Manfred B. habe Kenny alle Vorbereitungen abgenommen. Er selbst habe nur gezielt und abgedrückt.

Keine Entladekontrolle – ein fataler Fehler

23 Schuss hat Kenny dabei. 20 für das Obligatorische und drei zur Probe. Laut Anklageschrift gab er aber nur 22 Schuss ab. «Ich weiss nicht, wie oft ich geschossen habe», sagt Kenny im Prozess. Er nahm das Magazin weg, es sei leer gewesen. Aber er macht keine Entladekontrolle. Eine Patrone bleibt unbemerkt im Gewehrlauf. Kenny unterschreibt und geht in die Beiz.

Das Unglück passiert auf dem Parkplatz. Kenny erzählt, wie er neben Fabian zum Auto geht. Er nimmt das Gewehr nach vorne: «Es gab einen Knall. Ich bin erschrocken. Dann sah ich Fabian.» Kenny weint. Dann erzählt er weiter: «Fabian fiel zu Boden. Er blutete am Kopf. Ich ging zu ihm hin und hielt die Wunde zu.» Sein Freund stirbt kurz darauf im Spital.

«Ich Tubel han min beschte Kolleg verschosse»

Was danach geschieht, daran kann Kenny sich nicht mehr erinnern. Augenzeugen berichten, er habe immer wieder gesagt: «Wie chan me nur so blöd si? Ich Tubel han min beschte Kolleg verschosse.»

Die St. Galler Staatsanwaltschaft forderte für Kenny G. und für Manfred B. je eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten bei einer zweijährigen Bewährungszeit. Kennys Anwalte fordert eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Er möchte aber, dass das Gericht von einer Strafe absieht, weil sich der junge Mann durch den Unfall selbst schweren seelischen Schaden zugefügt habe. Kenny berichtet während der Verhandlung, er sei in psychiatrischer Behandlung gewesen. Darüber zu reden mache das Ganze aber nur schlimmer für ihn.

«Ich hielt den sterbenden Fabian in meinen Armen»

Der Anwalt von Manfred B., der die Aussage verweigert, fordert einen Freispruch: «Er wollte nur helfen, damit Kenny als unsicherer Schütze sich nur aufs Schiessen konzentrieren muss.» B. habe davon ausgehen können, dass Kenny wisse, wie er nach der Rekrutenschule mit einem Sturmgewehr umgehen muss.

Es liege auch keine Verletzung der Sorgfaltspflicht vor, sagt B.s Anwalt: Nach der erfolgreichen Absolvierung des «Obligatorischen» habe er ihn zum Entladen des Gewehrs aufgefordert. Dass der Schützenmeister die Entladekontrolle nicht persönlich durchgeführt habe, sei keine Pflichtverletzung.

B. sagte in seinem Schlusswort: «Ich habe den sterbenden Fabian in meinen Armen gehalten. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen.» Er könnte es aber nicht verstehen, wenn er dafür verurteilt würde, dass er versucht habe zu helfen.

Der Schützenverein Ramschwag hatte nach dem tödlichen Unfall in Bernhardzell den Schiessbetrieb für ein halbes Jahr eingestellt. Ein Schiessexperte des Bundes prüfte den Fall. Er kam zum Schluss, der Schiessbetrieb am Tag des Unfalls sei vorschriftsgemäss organisiert gewesen.

* Namen der Redaktion bekannt

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