Nahverkehr Personalnot und Fahrplandruck
Bus- und Tram-Chauffeure am Limit

Dichter Verkehr, gestresste Passagiere und enge Fahrpläne nerven die Chauffeure. Sie werden häufiger krank. Die Betriebe intensivieren Ausbildung und Personalsuche.
Publiziert: 18.02.2024 um 09:40 Uhr
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Aktualisiert: 20.02.2024 um 00:42 Uhr
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Die idyllische Aussicht aus dem Berner Tramführerstand trügt.
Foto: Keystone
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Andreas SchmidInlandredaktor

Obwohl Tram- und Buschauffeure vieler Verkehrsbetriebe inzwischen Musik hören dürfen, ist die Atmosphäre im Führerstand selten beschwingt.

Das liegt daran, dass nicht nur zu Stosszeiten pure Hektik herrscht: Durch Staus oder dichten Verkehr, überfüllte Wagen, Fahrpläne ohne Puffer sowie Fussgänger, die mit dem Handy am Ohr achtlos die Strasse überqueren, sind die Fahrerinnen und Fahrer enorm gefordert.

Unterbesetzung verstärkt die Probleme

Der Druck auf die Chauffeure nehme stetig zu, sagt Micha Amstad von der Gewerkschaft VPOD. «Burnouts und Krankheiten häufen sich», Chauffeure beklagten Rückenprobleme, Erschöpfungszustände und Schlafstörungen. 

Zusätzlich steige die Belastung für die diensthabenden Chauffeure, weil manche Betriebe unterbesetzt sind. Amstad verweist auf lange Schichten von bis zu 13 Stunden. Etwa in Zürich, wo 70 Prozent der Angestellten nicht in der Stadt wohnten und lange Anfahrtswege hätten, sei dies besonders anstrengend, weil sie ihre Pausen nicht zu Hause verbringen können. Der Beruf lasse sich deshalb nur schlecht mit dem Privatleben vereinbaren.

Verkehrsbetriebe Luzern wollen Personal mehr entlasten

Der Gewerkschafter erwähnt statistische Untersuchungen aus Deutschland, die zeigen, dass sich Unfälle gegen Schichtende und am Schluss von mehrtägigen Einsätzen häufen.

Das Gesetz lasse Einsätze von bis zu 14 Stunden am Stück zu, hält Sämi Deubelbeiss von den Verkehrsbetrieben Luzern fest. Sein Unternehmen versuche jedoch, die Schichten zu verkürzen, die meisten Dienste dauerten weniger als 11,5 Stunden. Deubelbeiss: «Trotzdem sehen wir hier noch Potenzial für eine Entlastung des Personals im Fahrdienst», denn die Belastung sei tatsächlich angestiegen und die Ausfälle durch Krankheiten befänden sich «auf einem Höchststand».

Suche im Ausland

Auch in Luzern fehlten Chauffeure für den Betrieb der Buslinien. Um die Stellen zu besetzen, gingen die Verkehrsbetriebe weite Wege. Man suche nicht nur regional und national, betont Deubelbeiss. «Wir sind zusätzlich jeden Monat in Deutschland für Rekrutierungstage und suchen gemeinsam mit einem deutschen Personaldienstleister Mitarbeitende.» 

Seit Sommer 2013 habe man 25 deutsche Busfahrerinnen und -fahrer anstellen können. Weitere 25 fand die Firma in der näheren Umgebung, sodass eine zwischenzeitlich stillgelegte Buslinie bald wieder in Betrieb gehen könne.

Grossangelegte Werbekampagne

Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) planen Neuerungen in der Ausbildung, um personelle Lücken zu schliessen. Zum einen vergrössere man die Klassen, zum anderen wolle man einen Tram-Simulator anschaffen: «Dieser soll für die Bedürfnisse der VBZ konfiguriert und 2026 in Betrieb genommen werden», so Sprecherin Daniela Tobler.

Durch eine Nostalgie-Kampagne mit Plakaten, Anzeigen, Digitalreklamen und auf Social Media versuchen die VBZ zudem, über 50-jährige Interessierte anzusprechen. «Die Aktion hat nicht nur grosse Beachtung gefunden», sondern auch viele Bewerbungen ausgelöst, sagt Tobler.

VBZ verkürzen Schichten

Bei rund 1700 Angestellten im Fahrdienst fehle derzeit «eine tiefe zweistellige Zahl», hält Tobler fest. Das tönt zwar wenig dramatisch, doch das Unternehmen musste – auch wegen Krankheitsabsenzen – eine Tramlinie vorübergehend einstellen und die Fahrpläne von Bus- und Tramstrecken ausdünnen. Gleichzeitig fordert die Politik in Zürich, Trams und Busse sieben Tage pro Woche rund um die Uhr verkehren zu lassen. Auch wenn ein solcher Ausbau kurzfristig unwahrscheinlich ist, muss das Unternehmen künftig mehr Personal für den Fahrdienst ausbilden.

Die VBZ haben unterdessen die Schichten für ihr Personal verkürzt. Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember sei kein Dienst mehr länger als 13 Stunden, betont Tobler. Zudem stünden Fahrerinnen und Fahrern an allen Aufenthaltsorten Essgelegenheiten zur Verfügung. Die Herausforderungen im Zusammenhang mit Schichtarbeit, Nacht- und Sonntagseinsätzen blieben aber bestehen.

Die Verkehrsbetriebe Zürich finanzieren sich zu 80 Prozent selbst; Teuerung, höhere Zinsen und Energiepreise erhöhen den Kostendruck. Und dass die Ticketpreise steigen, während gleichzeitig das Angebot nicht überall aufrechterhalten wird, ist unpopulär. Allerdings werde sich der zeitweise beeinträchtigte Fahrplantakt im Lauf des Jahres «deutlich verbessern», verspricht Tobler.

In Basel ist die Situation «beherrschbar»

Die Basler Verkehrsbetriebe (BVB) beschäftigen 225 Tram- und Buschauffeure aus dem grenznahen Ausland. Das sind rund 30 Prozent aller Fahrerinnen und Fahrer. Die personelle Situation sei zwar angespannt, aber derzeit «beherrschbar», sagt BVB-Sprecher Matthias Steiger. 

Der Fachkräftemangel sei spürbar, und man brauche zusätzliche Angestellte in den Führerständen, weil die Fahrpläne dichter werden. Die maximale Präsenzzeit in einer Schicht beträgt in Basel laut Steiger zwölf Stunden. «In der Regel sind die Einsatzzeiten jedoch weniger lang», betont der Sprecher.

Berner ÖV ohne Personalprobleme

In Bern gebe es keine Personalnot, sagt Rolf Meyer, Sprecher der städtischen Verkehrsbetriebe Bernmobil. So sei auch nie eine Reduktion des Angebots nötig gewesen. Dennoch sei die Rekrutierung von Fachkräften «deutlich schwieriger» geworden. Meyer räumt ein, dass der Fahrdienst anspruchsvoll und gelegentlich auch mit gesundheitlichen Belastungen verbunden sein könne. Bernmobil trage diesem Umstand jedoch mit präventiven Angeboten wie beispielsweise Gratisfitnessabos für die Angestellten Rechnung. 

Das Fahrpersonal könne wählen, ob es vier oder fünf Tage in Folge arbeiten wolle, sagt Meyer. Weiter prüfe Bernmobil regelmässig, ob die Wendezeiten an der jeweiligen Endhaltestelle lang genug seien, um den Chauffeuren eine kurze Pause zu ermöglichen.

Städtische Probleme

Ein wachsendes Problem für Bus- und Tramchauffeure sind unachtsame Fussgänger oder Autofahrer. Sie verursachen häufig Notstopps, bei denen sich Passagiere in Trams und Bussen verletzen. Allein in Zürich weist die Statistik für das vergangene Jahr 340 Bremsunfälle mit Verletzten aus. Zu Kollisionen von VBZ-Fahrzeugen mit Fussgängern kam es in 67 Fällen.

Ausserhalb der Städte geht es etwas ruhiger zu und her. Den Verkehrsbetrieben gelingt es dort auch eher, den Personalbedarf zu decken. Die Gewerkschaften stellen jedoch fest, dass private Transport- und Carunternehmen zunehmend zur Konkurrenz für die Betriebe des öffentlichen Verkehrs werden. Unter anderem, weil sie regelmässige Arbeitszeiten ohne Schichtdienst anbieten könnten.

Rekrutierungspotenzial bald ausgeschöpft

Man sei als Arbeitgeber gut positioniert, betont Dominik Brunner, Leiter Personal und Fahrdienst der Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland. Er findet es allerdings «herausfordernd», Mitarbeitende für den Fahrdienst zu finden. «Bis jetzt können wir unseren Bedarf aber decken.» Weil die Fahrpläne kontinuierlich dichter werden und dadurch neue Arbeitsplätze entstehen, werde man jedoch in Zukunft zusätzliches Personal benötigen, so Brunner. 

Deshalb drohten bald weiteren Verkehrsbetrieben gravierende Engpässe, wie Regula Pauli von der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) prognostiziert, die auch Angestellte regionaler Busbetriebe vertritt. Das Potenzial zur Rekrutierung sei beschränkt und in absehbarer Zeit ausgeschöpft. Pauli: «Manche unterschätzen das Problem, das auf sie zukommt.

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