Omikron bietet einen Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Jahren für die Schweizer Wirtschaft zu einem Riesenproblem werden wird: Personalnot! Dabei ist der aktuelle Mangel in der Pandemie das bedeutend kleinere Problem.
Das Reservoir an qualifizierten Fachkräften droht in der Schweiz zu versiegen. Das sind Arbeitnehmende, die über einen Berufs- oder einen Hochschulabschluss verfügen. Hierzulande sind das über 80 Prozent aller Arbeitskräfte.
Was noch schlimmer wiegt: Es tut sich eine Lücke auf zwischen der Nachfrage der Wirtschaft, die laufend neue Stellen schafft, und dem immer knapperen Angebot auf dem Arbeitsmarkt. Die Schweiz droht Opfer ihres eigenen wirtschaftlichen Erfolgs zu werden.
Bedrohung für den Wohlstand
«Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden enorm sein», sagt Tino Senoner (62), Geschäftsführer von Dynajobs. Der Arbeitsmarktexperte hat für den Verband Angestellte Schweiz das Ausmass der Lücke berechnet. Die Zahlen liegen Blick exklusiv vor.
Bis ins Jahr 2025 fehlen in der Schweiz an die 365'000 Fachkräfte. Der Grund ist klar: Es gehen mehr Leute in Pension, als neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Dieser Trend setzt sich fort und verschärft sich. Im Jahr 2035 fehlen sogar über 1,2 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte.
Das ist einschneidend und bedroht den Wohlstand in der Schweiz: «Dieser Mangel an Personal kostet die Wirtschaft alleine bis ins Jahr 2025 an die 60 Milliarden Franken an Wertschöpfung», befürchtet Senoner. Das heisst, mit mehr Personal könnte die Schweizer Wirtschaft stärker wachsen.
Der Grund: «Ohne genügend Fachkräfte bleibt zu wenig Zeit für Ideen und neue Produkte. Darunter leidet die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz», sagt Alexander Bélaz (46), Präsident von Angestellte Schweiz.
In der rohstoffarmen Schweiz gehören gut ausgebildete Arbeitskräfte zu den wichtigsten Ressourcen der Wirtschaft. «Diese Ressourcenknappheit ist eines der bedeutendsten Geschäftsrisiken in der Industrie und mittelfristig eine Gefahr für den Innovationsstandort Schweiz», ergänzt Bélaz.
Bisherige Rezepte greifen nicht
Die Lage ist so ernst, dass sich die Sozialpartner für einmal nicht widersprechen. «Dieser bereits bestehende und sich zunehmend akzentuierende Mangel ist für die Schweizer Wirtschaft einschneidend», sagt Simon Wey (45), Chefökonom des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. «Fehlen zukünftig Arbeitskräfte, so verliert der Wirtschaftsstandort Schweiz einen wichtigen Wettbewerbsvorteil zur Schaffung von Wohlstand.»
Das grosse Problem: Die bisherigen Rezepte gegen den Fachkräftemangel – Zuwanderung und Produktivitätssteigerung – greifen nicht mehr. Denn die Schweiz ist mit diesem Mangel nicht alleine, qualifizierte Arbeitskräfte werden global knapp.
«Im gesamten deutschsprachigen Raum fehlen bis in vier Jahren an die zwei Millionen Fachkräfte», sagt Senoner. Und selbst wenn die Arbeitskräfte in der Schweiz immer effizienter und produktiver werden, das Fehlen neuer Kolleginnen und Kollegen können sie dadurch nicht überbrücken.
Neue Lösungen gesucht
Senoner hat fünf Schlüsselbranchen ausgemacht, die für rund die Hälfte der gesuchten Fachkräfte stehen. Dazu gehört der ganze Informatikbereich: «Jedes Unternehmen will und muss automatisieren und digitalisieren, das schafft eine enorme Nachfrage nach Leuten mit vertieften IT-Kenntnissen», so Senoner. Aber auch im Gesundheitswesen wird die Lücke immer grösser oder in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie.
Selbst Detailhandel und Logistik suchen händeringend nach erfahrenen Einkäufern, Chauffeuren oder Expertinnen für moderne Lagerbewirtschaftung.
Es müssen neue Lösungen her, dafür braucht es ein Umdenken. «Die Unternehmen müssen nun in die Weiterbildung der eigenen Angestellten investieren. Dazu gehört vor allem auch die Weiterentwicklung und Umschulung älterer Arbeitnehmer», sagt Bélaz vom Angestelltenverband. «Prioritär aus Sicht der Arbeitgeber ist die Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials», ergänzt Arbeitgeber-Chefökonom Wey.
Er denkt dabei auch an die Älteren: «Der Arbeitgeberverband will die Generationen-Zusammenarbeit fördern und stärkere Anreize für eine Arbeit übers Pensionsalter hinaus schaffen.» Zudem soll mithilfe der Politik das Angebot an Kitas und ähnlichen familienergänzenden Betreuungsmöglichkeiten ausgebaut werden.
Denn auch bei Frauen liegt noch viel Potenzial brach. Darauf kann die Wirtschaft je länger je weniger verzichten.