Roberto Listo (29) ist ein begehrter Junggeselle. Sein besonderes Talent? Listo bäckt Pizzen. Sein Teig ist luftig und leicht, wie es das neapolitanische Rezept vorsieht. Der Belag ist simpel: «Am liebsten ist mir Pizza Margherita, bei den anderen schmeckt man vor lauter Zutaten den Teig gar nicht mehr», erzählt er.
Listo schafft 70 Pizzen in einer Stunde. Wenn das Restaurant voll ist, können es auch einmal 80 werden. Und genau das macht Listo so begehrt. Professionelle Pizzaioli wie er sind eine Seltenheit. Allein die Gastrokette Bindella sucht aktuell Pizzaioli für fünf verschiedene Restaurants in Zürich.
«Es ist wie wenn man ein Baby hätte»
«Während der Pandemie sind viele Italiener in ihr Heimatland zurückgekehrt», sagt Rudi Bindella junior (44), der das Familienunternehmen in vierter Generation leitet. Sie fehlen nun an den Schweizer Pizzaöfen.
Der Personalmangel in der Gastronomie nach den monatelangen Schliessungen macht sich zwar auch im Service und bei den Köchen bemerkbar. Bei den Pizzaioli war es nach der Wiedereröffnung aber mit Abstand am schlimmsten, so Bindella. Er war gezwungen, ungewohnte Wege zu gehen. «Wir haben unsere Pizzaioli gefragt, ob sie Freunde oder Verwandte in Italien haben, die bei uns arbeiten würden.»
Mehr zum Personalmangel
So kam auch Roberto Listo in die Schweiz. Bis vor wenigen Monaten arbeitete er noch als Pizzaiolo in Belgien. Dann kam der Anruf eines Freundes. «Er arbeitet seit sieben Jahren in der Schweiz und brauchte Hilfe», erinnert sich Listo. Die beiden kennen sich aus ihrer Heimat Salerno, einem Hafenstädtchen im Süden Italiens unweit von Neapel.
Seither arbeitet Roberto Listo als Pizzaiolo im Bindella-Restaurant Più in Bern. Wer ihm auch nur zwei Minuten bei der Arbeit zusieht, bemerkt unweigerlich seine Liebe für die Pizza. «Man beginnt mit Mehl und Wasser – und schafft daraus einen Teig, der lebt!», schwärmt der junge Pizzaiolo. «Es ist wie wenn man ein Baby hätte und es grosszieht. Nur, dass man es dann in den Ofen schiebt!»
Ein Ofen, der über 400 Grad heiss ist. Die neapolitanische Pizza wird besonders heiss, dafür aber nur kurz gebacken, höchstens eine Minute lang. Der Teig ist luftiger, die Zubereitung schwieriger. Und weil um die neapolitanische Pizza in den letzten Jahren ein richtiger Hype ausgebrochen ist, ist der Personalmangel bei spezialisierten Pizzaioli aus Süditalien umso grösser.
Erste Pizzaiolo-Schule der Schweiz
Listo kommt der Engpass gelegen, er findet dadurch praktisch überall Arbeit. «Seit ein paar Jahren isst man die neapolitanische Pizza plötzlich überall auf der Welt. Aber das Handwerk wird nur in Italien gelehrt.»
Sein Chef Rudi Bindella gibt ihm recht. «In der Schweiz gibt es bisher keine eigene Ausbildung für Pizzaioli. Aber wir arbeiten daran!» Gemeinsam mit den Partnerfirmen in Italien will Bindella die erste professionelle Pizzaiolo-Schule der Schweiz eröffnen.
Wer heute nach einer Ausbildung sucht, findet allerhöchstens Kurse, die nur wenige Tage lang dauern. Angeboten werden sie nicht selten von Hobbybäckern. Das reicht längst nicht, um das Handwerk zu lernen, erzählt Roberto Listo aus eigener Erfahrung. «Man muss üben, üben und nochmal üben.» Als er vor zwölf Jahren mit dem Pizzabacken anfing, schaffte er 30 Pizzen pro Stunde. Heute sind es mehr als doppelt so viele.
Und es geht nicht nur ums Tempo, betont Listo. Nur wer die Geschichte der Pizza kenne, werde ein guter Pizzaiolo, findet der Italiener. «Pizza ist mehr als Essen, Pizza ist Tradition. Früher war sie ein Strassengericht für die Armen. Ich bin stolz auf diese Geschichte. Das braucht es, um das Handwerk des Pizzaiolo zu lieben.»
Tiefer Lohn trotz harter Arbeit
Doch selbst wenn Gastro-Patron Bindella nun eine Pizzaiolo-Schule plant: Der Fachkräftemangel bleibt. Denn bis die ersten professionellen Pizzaioli in der Schweiz ihre Ausbildung antreten, dauert es noch. Kommt hinzu, dass die Pizzerien sich die guten Pizzabäcker gegenseitig abjagen. «Überall ist Not am Mann, die Konkurrenz ums Personal ist gross», sagt Bindella.
Was tun? Die Pizzaioli besser bezahlen, findet Roberto Listo. «Es ist körperlich anstrengend, besonders für den Rücken. Und man arbeitet abends und am Wochenende.» Der Gesamtarbeitsvertrag in der Gastronomie schreibt – je nach Ausbildung – Mindestlöhne zwischen 3500 und 5000 Franken vor.
Bessere Aussichten hat, wer ein Restaurant führt oder in die Ausbildung wechselt, dem Pizzaiolo-Nachwuchs das Handwerk beibringt. Für Roberto Listo dereinst ein Thema? Nur wenn es sein muss. «Wenn es körperlich geht, backe ich Pizza bis zur Pensionierung!»