Heute gibt es Gerstensuppe. Dazu eine Apfelschorle. Kostenpunkt: 15 Franken. Wartezeit: 45 Minuten. Ziemlich lang für eine Suppe. In mancher Bergbeiz ist das diesen Winter aber keine abwegige Vorstellung. Denn: Der Gastronomie fehlt das Personal. Gerade in den touristischen Bergregionen spitzt sich die Lage zu.
Etwa am Flumserberg im Kanton St. Gallen. In der Sommersaison beschäftigen die Bergbahnen 30 Gastromitarbeitende. Im Winter sind es 120, verteilt auf sechs Restaurants. 90 zusätzliche Angestellte aus dem Hut zu zaubern, war schon einfacher, gibt Geschäftsführer Mario Bislin (63) zu Bedenken. «Bei den Fachkräften ist der Markt ausgetrocknet, und bei den Hilfskräften sind grosse Anstrengungen nötig, um die Stellen zu besetzen.»
Ausländische Gastarbeiter sorgen sich um Quarantäne
Hilfskräfte rekrutiert Bislin daher zunehmend im Ausland, etwa in Portugal und Polen. In der Gastronomie herrscht schon länger ein Fachkräftemangel, die Pandemie hat die Situation noch verschlimmert. Zahlreiche Angestellte entschieden sich im Lockdown für eine Umschulung. Einmal abgewandert, kehren sie kaum mehr in ihre angestammte Branche zurück. Zu tief sind die Löhne, zu kräfteraubend die Arbeitszeiten spät abends und am Wochenende.
Kommt hinzu, dass der Lockdown mitten in der Skisaison viele Angestellte auf dem falschen Fuss erwischt hat. Gegenüber Blick berichten etwa ehemalige Angestellte des Edelhotels Cervo in Zermatt VS, wie sie von einem Tag auf den anderen vor die Tür gesetzt wurden. Ein Betroffener erzählt, dass er diesen Winter bestimmt nicht ins Mattertal zurückkehren werde. Zu gross war die Enttäuschung im letzten Winter. Das Hotel selber weist die Vorwürfe zurück und erklärt, Mitarbeitende seien nicht entlassen sondern lediglich in die Kurzarbeit geschickt worden.
Auch Bislin gibt zu, dass die Personalnot in der Berggastronomie zumindest in Teilen hausgemacht sei. «Als Arbeitgeberin müssen wir uns bei den Saisonangestellten noch intensiver um Aus- und Weiterbildung bemühen. Mit der Hoffnung, dass sich daraus auch Fachkräfte entwickeln.»
Bislin ist mit seinen Sorgen nicht allein. Auch Markus Wolf (48), Geschäftsleiter der Weisse Arena Gruppe, Betreiberin der Bergbahnen in Laax GR, weiss Ähnliches zu berichten: «Die Personalabteilung ist massiv gefordert. Gerade bei den ausländischen Gastarbeitern ergeben sich Zusatzfragen: ‹Wie sieht es punkto Einreise aus? Muss ich in Quarantäne?› Wir haben Mitarbeiter aus 30 verschiedenen Nationen, da kommt einiges zusammen.»
Für den Serviceangestellten aus Deutschland sieht die Situation anders aus als für die Skilehrerin aus Neuseeland. Allen die richtigen Informationen zukommen zu lassen, wird zur Mammutaufgabe.
Zermatt greift zu Spezialmassnahmen
In Zermatt VS greifen die Touristiker zu Spezialmassnahmen. «Wir haben sämtliche Informationen bezüglich Impfungen, Tests, Corona-Bestimmungen und so weiter in verschiedene Sprachen übersetzen lassen und über diverse Kanäle ausgespielt, um auch Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus dem Ausland zu erreichen», erklärt Sabrina Marcolin, Sprecherin von Zermatt Tourismus.
Dadurch – und weil Zermatt als Winterdestination Weltruhm geniesst – ist die Personalsituation dort denn auch weniger prekär als anderswo. «Mit schlechterem Service ist daher sicherlich nicht zu rechnen», versichert Marcolin.
Arbeiten im Schnee statt unter Palmen
Auch Markus Wolf ist optimistisch, dass er die freien Stellen in Laax bis zum Start der Wintersaison noch besetzen kann. «Wenigstens kann man dieses Jahr von einer Beschäftigung ausgehen. Das war letztes Jahr nicht so.»
Die Pandemie trägt aber auch unverhoffte Früchte. «Wir erhalten einige Anfragen von Schweizern aus dem Ausland, die in Südostasien, in der Karibik oder auf Kreuzfahrtschiffen keine Beschäftigung mehr finden», erzählt Mario Bislin.
Ob das reicht, um die Lücke zu füllen? Im Unterland war der Personalmangel über die Sommermonate derart prekär, dass einzelne Betriebe zwischenzeitlich schliessen mussten. Bei den Bergbeizen sei diese Gefahr weit weg, versichern die Touristiker von den Churfirsten bis ins Mattertal. Die Gerstensuppe gibts also trotzdem. Nur eben mit längerer Wartezeit.