Auf einen Blick
- Der kleine Sebastian Lucic (2) hat eine Autismus-Spektrum-Störung
- Behandlungsplätze in der Schweiz sind sehr rar, doch Familie Lucic hat einen Therapieplatz gefunden
- Doch dafür müssen sie umziehen und tief in die Tasche greifen
Andreea (34) und Anto Lucic (41) aus Unterkulm AG sitzen im Wohnzimmer und beobachten ihren Sohn Sebastian (2). Dass der Bub anders ist, fiel ihnen schon früh auf. «Manchmal wirft er sich schreiend auf den Boden oder verdreht die Augen extrem nach hinten», sagt Mutter Andreea. Vater Anto: «Er hat im Umgang mit Menschen Mühe. Es wirkt so, als ob er uns total ignoriert.»
Die niederschlagende Diagnose: Sebastian hat eine Autismus-Spektrum-Störung.
Zwar gibt es Therapieansätze. Vorher mussten die Eltern aber einen regelrechten Spiessrutenlauf durch mehrere Länder, mit Behördenstellen, Versicherungen und Kliniken absolvieren.
Das neuste Kapitel: Die Aargauer Familie muss in den Kanton Zürich zügeln, damit ihr Sohn therapiert werden kann!
«Es bleibt nur der Umzug»
Dort bietet die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) Kindern mit Autismus und ihren Familien das FIVTI-Programm – die frühe intensive Verhaltenstherapeutische Intervention – an. Kostenpunkt: rund 130'000 Franken jährlich. Einen Grossteil bezahlen die IV sowie der Kanton.
Während betroffene Familie für die Behandlung bis vor kurzem 40'000 Franken pro Jahr bezahlen mussten, wurde durch einen Entschluss des Zürcher Regierungsrats Ende September 2024 beschlossen, der Elternbeitrag auf maximal 10'000 Franken jährlich zu senken. Dies rückwirkend ab dem 1. Januar 2024.
Die Behandlung dauert in der Regel rund zwei Jahre und sollte bei Kindergarten-Eintritt abgeschlossen sein. Das Angebot der PUK Zürich richtet sich primär an autistische Kinder, die im Kanton wohnhaft sind. Sebastian befindet sich aktuell auf der Warteliste.
«Uns bleibt nur der Umzug. Und auch dann wissen wir noch nicht, wie wir das stemmen sollen», so das Fazit der Eltern aus dem Aargau.
Behandlung unter Kritik
Laut der Eltern-Selbsthilfeorganisation Autismus Schweiz haben Autismus-Betroffene «eine andere Wahrnehmung der Welt, was Reizüberflutung und Stress auslösen kann.» Ausserdem tauchen «in der sozialen Interaktion mit anderen Menschen oft grosse Schwierigkeiten» auf. Um sich zurechtzufinden, brauchen Autisten wie Sebastian fixe Abläufe.
Darauf baut die FIVTI-Behandlung, die Sebastian in der PUK bekommen soll. Die Therapie basiert auf der angewandten Verhaltensanalyse (ABA). Bei der ABA-Behandlung machen Therapeuten ein erwünschtes Verhalten vor und die Kinder müssen dieses umsetzen. Dafür werden sie belohnt. Dies wird so lange wiederholt, bis das Kind das erwünschte Verhalten übernimmt.
Vielen Eltern bringt die ABA-Therapie Erleichterung: Ihr Kind lernt, sich zu äussern, wird sozial aktiver und selbstständiger. Gleichzeitig ist Behandlung umstritten. Laut dem «Spiegel» ist von «Dressur» die Rede.
Kaum Behandlungsplätze
Behandlungsplätze für intensive Frühinterventionen sind in der Schweiz rar – und die Kosten hoch: Existierenden Behandlungszentren für Frühinterventionen gehen im Durchschnitt von Kosten in Höhe von 150'000 Franken in der Schweiz aus. Wer wie viel bezahlt, wird kantonal geregelt.
Doch in vielen Regionen gibt es ein solches Angebot nicht einmal. So sind gemäss dem Bundesamt für Sozialversicherungen jährlich 270 Kinder von frühkindlichem Autismus betroffen. Doch nur 80 Kinder konnten im Jahr 2022 mit einer Frühintervention beginnen.
Im Kanton Aargau wird dem rumänisch-kroatischen Ehepaar Lucic alleine für die Abklärung zwei bis drei Jahren prognostiziert. Ein vergleichbares Frühinterventionsangebot wie im Kanton Zürich gibt es nicht.
Anders sieht es im Heimatland von Mutter Andreea aus: «In Rumänien konnte Sebastian im vergangenen November in einer Spezial-Klinik mit der ABA-Therapie beginnen.» Sie reist mit Sebastian dorthin. Mit einem Leuchten in den Augen erzählt Andreea: «In fünf Monaten machte er enorme Fortschritte. Er ging auf!»
Therapie keine Pflichtleistung
Um nicht von der Familie getrennt zu bleiben, kehrt sie jedoch im März mit Sebastian zurück in die Schweiz. Hier sucht die Familie intensiv nach einem Behandlungsplatz – und wird schliesslich in der PUK Zürich fündig.
Als die Familie von den ungedeckten Kosten erfährt, versucht sie, ihre Versicherung – die Groupe Mutuel – ins Boot zu holen. Auch, weil die Versicherung zuvor die ABA-Therapie in Rumänien übernommen hat.
Doch Groupe Mutuel lehnt eine Kostenübernahme ab. Der Grund: Die Übernahme der Kosten des FIVTI-Programms gehört nicht zu den Pflichtleistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.
Dass Groupe Mutuel die ABA-Therapie in Rumänien übernommen habe, sei ein Versehen gewesen, so Sprecher Martin Kamber zu Blick. Jedoch werde auf eine Rückzahlung verzichtet.
Gemäss Marc Stutz, Leiter Kommunikation der PUK Zürich, ist das korrekt, denn: «Die Programme für die Frühförderung bei Autismus werden in der ganzen Schweiz nicht von den Krankenkassen finanziert.» Stattdessen werde ein Gesamttarif verrechnet, der auf kantonaler Ebene verhandelt werde. Daran beteiligen sich üblicherweise die IV, der Bund und die Kantone – und eben die betroffenen Eltern selbst.
Für Familie Lucic heisst das unter dem Strich: Wie geplant in den Kanton Zürich ziehen, darauf hoffen, dass bald ein Platz frei wird und neu 10'000 Franken aufbringen.