Schon wieder heftige Unwetter in der Schweiz! Gestern Montagabend zogen Gewitterzellen über das ganze Land – im Kanton Aargau wurden über 10'000 Blitze registriert. Besonders heftig getroffen wurde das Berner Oberland. Im Zentrum: Brienz BE. Der Milibach trat gegen 18.30 Uhr über die Ufer. Der Fluss führte Stein- und Felsbrocken sowie Holz mit sich, was dazu führte, dass ein Sammler oberhalb des Dorfes überfüllt wurde und das Ganze unkontrolliert in die Dorfteile Seematte, Rybi, Steiner sowie rund um die Kirche floss.
Dabei wurden Gebäude, parkierte Fahrzeuge, Strassen sowie Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs beschädigt, wie die Gemeinde in einer Medienmitteilung schreibt. 70 Personen wurden aus ihren Häusern in die Turnhalle Dorf evakuiert und dort betreut. Zwei Personen wurden leicht bis mittelschwer verletzt. Es werden keine Personen vermisst. Das Gebiet «Brienz Änderdorf» ist bis auf Weiteres aufgrund der anhaltenden Gefahrenlage gesperrt.
Die Unwetterschäden in diesem Sommer sind massiv. Und solche Wetterextreme werden künftig zunehmen. Blick klärt auf, was das für deine Hausrat- und Gebäudeversicherung bedeutet – und was Hausbesitzer tun können, wenn ihre Immobilie in der Gefahrenzone steht.
Wie sind die Unwetter-Schäden gedeckt?
Schäden durch Hochwasser, Erdrutsche oder Starkregen gelten als sogenannte Elementarschäden. Gedeckt sind diese Schäden durch die Elementarschadenversicherung, die beispielsweise Teil der Hausrat- oder der Gebäudeversicherung ist – je nachdem, ob das eigene Hab und Gut oder das Haus betroffen ist. Die Prämie für die Elementarversicherung ist in der Schweiz gesetzlich geregelt und unterliegt dem Solidaritätsprinzip.
Was bedeutet das für meine Kosten?
Die Finanzmarktaufsicht (Finma) legt für die Privatversicherer schweizweit einheitliche Prämien fest. Alle Versicherten zahlen also die gleich hohe Prämie, unabhängig vom Wohnort. Bei der Hausratversicherung liegt die Prämie aktuell bei 21 Rappen pro 1000 Franken Versicherungssumme. Ein Haushalt mit einer Versicherungssumme von 100'000 Franken zahlt also 21 Franken. Und das wird wohl so bleiben. Für die Prämienberechnung berücksichtigt die Finma nämlich die Schadenszahlen über mehrere Jahrzehnte. Entsprechend führe eine Serie von Ereignissen nicht sofort zu einer Prämienanpassung.
Warum steigen die Versicherungsprämien trotzdem?
Die Hausrat- und Gebäudeversicherungen decken auch Schäden, die nicht gesetzlich geregelt sind. Deren Prämien sind dem freien Wettbewerb ausgesetzt. Hier bestimmen die Versicherer die Höhe also selbst. Daraus ergibt sich für den versicherten Kunden in der Regel eine zusammengesetzte Gesamtprämie. Deshalb sind diese Versicherungen auch unterschiedlich teuer. Grundsätzlich gilt: Die Prämien für die Hausrat- und die Gebäudeversicherung sind seit Jahren stabil und bewegen sich wenig, wie Stefan Thurnherr vom Versicherungszentrum mitteilt. Aus Daten der Vergleichsplattform «FinanceScout24» geht jedoch hervor, dass der Durchschnittspreis der angebotenen Hausratversicherungen in den letzten zwölf Monaten um über 10 Prozent angestiegen sind. Seit Anfang Jahr liegt die durchschnittliche Prämie bei ungefähr 300 Franken.
Was ist der Grund für den Preisanstieg?
Dieser Anstieg liegt aber nicht etwa an gierigen Versicherungen, die ihre Tarife erhöht haben. «In den vergangenen Jahren hat sich die Prämie primär wegen der Indexierung (Teuerung) der Versicherungswerte angepasst», erklärt Thurnherr. Sprich: Die Inflation hat die Besitztümer der Schweizer teurer und damit auch wertvoller gemacht. Entsprechend mussten die Versicherer ihre Versicherungssummen anpassen, damit der Hausrat nicht unterversichert ist.
Haben die heftigen Unwetter in der Schweiz überhaupt zugenommen – oder täuscht der Eindruck?
Es ist das heisseste Thema in der Versicherungsbranche: Wie wirkt sich der Klimawandel auf Naturgefahren und Schadensereignisse aus? Es gibt Anzeichen, dass Wetterextreme hierzulande tatsächlich zugenommen haben. So zeigen Zahlen der Axa eine Häufung der Unwetterschäden über die letzten drei Jahre. Von einem Trend will die Versicherung aus Winterthur noch nicht sprechen. Dafür sei der Zeitraum noch zu gering. Aber: «Gewitter treten heute kurzfristiger auf als früher und ihre Intensität hat zugenommen», schreibt die Axa in ihrer Unwetterstatistik. Welche Folgen das haben kann, mussten die Menschen Anfang Juli im Tessin und im Wallis und gestern Montag im Berner Oberland leidvoll erfahren.
Für Immobilienbesitzer: Wie finde ich heraus, ob mein Haus in einer Gefahrenzone steht?
Eine Auswertung des Forschungsteams des Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern zeigt, dass 62 Prozent der Gebäude in der Schweiz durch Oberflächenabfluss gefährdet sind. Oberflächenabfluss entsteht, wenn das Regenwasser nicht mehr versickert und über offenes Gelände abfliesst. Mindestens 50 Prozent der Überschwemmungsschäden sind gemäss neuen Forschungsergebnissen darauf zurückzuführen. Ob sich ein Eigenheim in einem Gefahrengebiet befindet, können Hausbesitzer auf schutz-vor-naturgefahren.ch herausfinden.
Dieselbe Karte gibt auch über die Gefahr für Hagel- und Sturmschäden sowie Erdbeben Auskunft. Wobei Hagel das Versickern von Wasser ebenfalls beeinträchtige und so zu reissenden Bächen auf der Oberfläche führen kann. Starke Erdbeben, die Gebäudeschäden auslösen, kommen in der Schweiz dagegen selten vor. Das Schadenspotenzial ist in einigen wenigen Regionen aber immens.
Welche Gemeinden sind besonders gefährdet?
Ein sehr hohes Schadenpotenzial herrscht beispielsweise in Städten. In Zürich, Bellinzona, Winterthur, Lugano, St. Gallen und Bern stehen mengenmässig die meisten gefährdeten Gebäude. In Zürich etwa sind 18'000 Gebäude betroffen – von insgesamt 24'750.
Welche baulichen Massnahmen können ergriffen werden?
Befindet sich das eigene Haus gemäss der Gefahrenkarte in einem violett eingefärbten Gebiet, macht es Sinn, mögliche Massnahmen zu prüfen. Dabei ist es laut der Expertin egal, ob der Bereich hellviolett oder dunkelviolett eingefärbt ist. Der Farbton sagt lediglich etwas darüber aus, wie hoch das Wasser steigen würde. Ob es also weniger als zehn oder mehr als 25 Zentimeter wären – das ist zwar gut zu wissen, Massnahmen können aber in jedem Fall Sinn machen.
Eigenheimbesitzer in der Gefahrenzone sollten sich laut Aller von einem Experten beraten lassen. «Gebäudeversicherungen bieten meist eine kostenfreie Erstberatung an», so die Meteorologin. Je nachdem mache es Sinn, Vorkehrungen zu treffen. Es gibt beispielsweise mobile Schutzelemente wie das Nidwaldner Tor. Es kann bei Unwetter in wenigen Sekunden geschlossen werden und schützt Parkgaragen oder Keller vor Hochwasser. Auch bei den Sonnenstoren gibt es Ausführungen, die starken Windböen standhalten. Solche Massnahmen sind aber auch eine Kostenfrage. «Es ist immer ein Abwägen – wir wollen Sicherheit, aber nicht in Bunkern leben», sagt Aller.
Welche Sofortmassnahmen gibt es?
Es gibt auch günstige Massnahmen, die sofort ergriffen werden können. Beispielsweise Sachen im Kellerabteil in der Höhe lagern, damit sie bei Hochwasser nicht beschädigt werden. Dasselbe gilt für den Waschturm oder die Gefriertruhe im Keller – auch sie können mit einem Sockel erhöht und vor einer Überschwemmung geschützt werden.
Sonnenstoren sollten bei starkem Wind, Regen und Hagel eingefahren werden. Dasselbe gilt für Lamellenstoren. Schon bei Hagelkörnern ab einer Grösse von zwei Zentimetern können sie sonst beschädigt werden. Fensterglas dagegen hält bis zu fünf Zentimeter grosse Hagelkörner aus.
Darf in der Gefahrenzone noch gebaut werden?
Auf den Naturgefahrenkarten der einzelnen Kantone gibt es verschiedene Gefahrenzonen. Die Gefahrenzone 1 (rot) kommt einem Bauverbot gleich, in der Gefahrenzone 2 (blau) ist Bauen mit Auflagen möglich. «Wenn in einem Gefahrengebiet gebaut wird, sollte bereits in der Planung an die Naturgefahren gedacht werden», sagt Aller. Dabei sollten die Baunormen SIA 261 «Einwirkungen auf Tragwerke» und SIA 261/1 «Einwirkungen auf Tragwerke – ergänzende Festlegungen» berücksichtigt werden. Diese setzen bezüglich Naturgefahren Mindestanforderungen für den Gebäudeschutz. «Die Baunormen sind nicht Pflicht, weshalb Bauherren selbst veranlassen müssen, dass die Fachleute sie beim Hausbau berücksichtigen», so Aller.
Gibt es in der Schweiz ein Warnsystem?
Die App Meteoswiss warnt vor Wettergefahren. Der Bund hat zudem die App Alertswiss entwickelt. Wer diese App installiert, erhält bei Unwettergefahr eine Meldung. Aktuell erreichen die Behörden damit nur ein Viertel der Bevölkerung – alle anderen haben die App noch nicht auf ihrem Smartphone.
Wie viel kosten die Unwetterschäden?
Die Unwetter von Mitte Juni bis Anfang Juli 2024 haben in der Schweiz versicherte Gesamtschäden von 160 bis 200 Millionen Franken verursacht. Davon geht der Schweizerische Versicherungsverband aus. Seither dürfte ein erheblicher Betrag dazugekommen sein – zuletzt am gestrigen Montagabend. Eine Schlussbilanz dürfte erst Ende Sommer möglich sein.