Milliardenüberschuss durch hohe Ölpreise
«Russland wird immer neue Abnehmer finden»

Die russische Wirtschaft hat im ersten Quartal einen Haushaltsüberschuss in Milliardenhöhe eingefahren – trotz Krieg und Sanktionen. Wie ist das möglich?
Publiziert: 22.05.2022 um 11:40 Uhr
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Aktualisiert: 22.05.2022 um 12:40 Uhr
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Putins Staatskassen sind voll: 800 Milliarden Rubel (rund 12,6 Milliarden Franken) beträgt der Haushaltsüberschuss im ersten Quartal 2022.
Foto: Getty Images
Janina Bauer

Russland ist das am stärksten sanktionierte Land der Welt. Mit aller Kraft versucht der Westen, wirtschaftliche Schäden in Putins riesigem Reich anzurichten: Staatsgelder auf ausländischen Konten wurden eingefroren, russische Banken von globalen Zahlungssystemen ausgeschlossen, Oligarchen in ihren Geschäften und Privilegien eingeschränkt.

Diese Woche dann die überraschende Nachricht: Der Staatshaushalt Moskaus liegt im ersten Quartal 2022 mit 800 Milliarden Rubel (rund 12,6 Milliarden Franken) im Plus, wie russische Medien schreiben. Trotz der Sanktionen. Wie konnte es dazu kommen? Und: Was sagt das über den tatsächlichen Zustand der russischen Wirtschaft aus?

Ein Grund für den Milliardenüberschuss sind die hohen Preise für Öl sowie die erhöhten Steuereinnahmen der Regierung aus dessen Export – um 34,5 Prozent sollen sie seit Jahresbeginn gestiegen sein, wie die Moskauer Zeitung «Komsomolskaja Prawda» schreibt.

Laut dem deutschen Statistikportal Statista kostet dieses Jahr ein Barrel Rohöl durchschnittlich 101,67 Dollar (99.12 Franken), 31,8 Dollar (31 Franken) mehr als 2021. Russland verkaufe aufgrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine zwar weniger Öl, verdiene wegen der hohen Preise aber mehr als zuvor, erklärt Jeronim Perovic. Der Historiker und Politikwissenschaftler ist Direktor des Center for Eastern European Studies an der Universität Zürich.

«Energie ist das Lebenselixier moderner Volkswirtschaften»

Wie sich die Energiepreise weiter entwickeln, ist laut Perovic schwer vorauszusagen. «Der Energiemarkt ist stark globalisiert und wird von Angebot und Nachfrage bestimmt. Preissteigerungen stehen nicht nur mit dem Krieg in der Ukraine im Zusammenhang.» Seit Beginn der Woche sinken die Preise wieder. Der Grund: schwache Wirtschaftsdaten aus China. Die strikte Corona-Politik der Volksrepublik wirkt sich auch auf deren Ölbedarf aus. Die geringere Nachfrage wiederum drückt die Preise auf dem Weltmarkt.

Unabhängig von den Preisentwicklungen ist Perovic überzeugt: «Russland wird immer neue Abnehmer finden. Energie ist das Lebenselixier moderner Volkswirtschaften.» Indien und China importieren bereits riesige Mengen russischen Öls, auch die Geschäftsbeziehungen mit der Türkei seien nicht zu unterschätzen – nicht zuletzt dank zweier Gaspipelines aus Russland. Ein europäisches Ölembargo würde daran wenig ändern, schätzt Perovic: «Kurzfristig wird es die russische Wirtschaft erschüttern, aber mittel- bis langfristig spielt sich das wieder ein.»

Theocharis Grigoriadis sieht es anders. Der Inhaber des Lehrstuhls für osteuropäische Volkswirtschaft an der Freien Universität Berlin schreibt: «Der Einfluss eines Ölembargos wäre sehr negativ für die russische Wirtschaft.» Er stellt infrage, dass Indien und China die europäischen Ölimporte ersetzen können oder wollen. Grigoriadis hält Moskaus Haushaltsüberschuss zudem für nicht nachhaltig. Im Gegentei, das Plus sei nur zustande gekommen, weil die Sanktionen gegen russisches Erdöl und Erdgas noch nicht richtig greifen.

Europa nach wie vor abhängig

Ob es überhaupt zu einem europäischen Ölembargo kommt, steht noch nicht fest. Die EU-Kommission diskutiert seit Wochen. Nachdem sich vor allem Ungarn gegen ein Importverbot ausgesprochen hat, drohen diese Woche Griechenland, Zypern und Malta, von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen, sollte ein Transportverbot für europäische Tanker vorgeschlagen werden. Professor Perovic hält eine andere Lösung für zielführender: «Nicht die Abkehr von russischer Energie, sondern von fossilen Energieträgern insgesamt ist letztlich die Lösung. Das wird aber noch eine Weile dauern.»

Europa ist nach wie vor abhängig von importierten Rohstoffen. Doch auch Russland ist auf Europa angewiesen. Denn die Energiewirtschaft des Landes basiert auf Technologien und Kapital aus dem Ausland. Perovic: «Bereits jetzt haben sich zahlreiche westliche Unternehmen aus dem Land zurückgezogen und aufgrund der Sanktionen hat Russland den Zugang zu westlicher Hochtechnologie verloren.»

Andere Bereiche, etwa Rüstungs- oder Flugzeugindustrie, seien ebenfalls betroffen. Zwar sei auch China ein wichtiger Investor und könne die Ausfälle zum Teil substituieren – aber eben nicht alles.

Für die Energiewirtschaft ist das äusserst problematisch. «Russland wird Jahre brauchen, um seine Industrie neu aufzustellen», so Perovic. Trotzdem werde die Wirtschaft nicht von heute auf morgen einbrechen. Der Politikwissenschaftler: «Selbst wenn die Preise auf dem Ölmarkt sinken und Arbeitsplätze verloren gehen, kann das Land noch eine Weile standhalten.»

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