SonntagsBlick: Herr Risch, wie viel Geld hat Liechtenstein durch den Untergang der Credit Suisse verloren?
Daniel Risch: Direkt nichts. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise keine CS-Aktien. Über die Vermögensverwaltung haben wir verschiedene Credit-Suisse-Mandate, wir sind also Kunde – aber diese Mandate laufen ja weiter.
Wie nervös hat Sie das Zürcher Bankenbeben gemacht?
Kaum. Das Ausland denkt bei Liechtenstein vielleicht primär an Banken. Tatsächlich kommen aber 46 Prozent unserer Bruttowertschöpfung aus der Industrie und nur rund 25 Prozent vom Finanzplatz. Natürlich ist der Finanzplatz wichtig, und wir sind eng mit Zürich vernetzt – insgesamt aber doch sehr breit aufgestellt. Die CS-Krise ist dennoch für jeden Finanzplatz und für alle Finanzinstitute ein Weckruf.
Was hat Liechtenstein aus der Credit-Suisse-Krise gelernt?
Dass eine Vertrauenskrise auch Institute treffen kann, von denen man es nicht erwarten würde. Andererseits ist die CS nicht vergleichbar mit dem, wie die Banken in Liechtenstein aufgestellt sind. Das Investmentbanking ist bei uns praktisch inexistent, die Vermögensverwaltung dafür umso stärker.
Profitieren Sie von der CS-Krise?
Ich bin am 19. März nicht durchs Büro getanzt und habe gesagt: «Das ist eine Riesenchance für uns!» Es gibt keinen Grund zur Schadenfreude. Ich habe auch nichts von Geldflüssen im grösseren Umfang mitbekommen. Was wir auf dem Finanzplatz hören: Es gibt Anfragen von Kunden und Mitarbeitenden, die von Credit Suisse kommen. Aber den Kampf um die besten Kunden und die besten Mitarbeitenden hat es auch schon vor der CS-Krise gegeben.
Wie viele schwarze Schafe hat der Finanzplatz Liechtenstein?
Ein Finanzplatz ohne schwarze Schafe würde bedeuten, dass die Aufsicht nicht funktioniert. Wir greifen hart durch, wenn es Missstände gibt. Es gibt keinen absolut sauberen Finanzplatz – weder hier noch sonst wo auf der Welt.
Wie gut funktioniert die Steueramtshilfe?
Gut. Die Welt hat sich seit dem grossen Steuerstreit 2008 um 180 Grad gedreht. Wir halten alle internationalen Standards ein und arbeiten gemäss den Abkommen gut zusammen.
Macht der Treuhänder-Job in Liechtenstein seitdem weniger Spass?
Die Leute, mit denen ich spreche, haben nach wie vor Spass an ihrem Job und in ihrer Branche, auch wenn der Job heute ein anderer ist als in den 1980er-Jahren.
Der Liechtensteiner Heinrich Kieber soll Steuerdaten nach Deutschland geliefert haben. Der Ex-LGT-Mitarbeiter ist seit Jahren untergetaucht. Gibt es bei der Fahndung nach ihm aktuelle Entwicklungen?
Wenn wir etwas wissen würden, dann würden wir das kommunizieren. Es gibt aber keine aktuellen Spuren.
Ist Kieber für Sie ein Landesverräter?
Niemand am Finanzplatz klatscht Applaus für das, was Kieber gemacht hat. Vielleicht gibt es inzwischen auch Stimmen, die sagen: «Kieber hat uns zu einer Art Fitnessprogramm gezwungen, das uns in internationaler Hinsicht langfristig geholfen hat. Früher war vieles anders, und heute ist es gut, wie es ist.»
Könnte man das Verfahren gegen ihn dann nicht einstellen oder ihn begnadigen?
Ein Rechtsstaat muss Straftaten verfolgen. Da kann man nicht einfach sagen: «Die Straftat hatte letztlich auch einen positiven Effekt.» Straftat bleibt Straftat.
Der Fürst von Liechtenstein hat einmal gesagt, wo es Steuerwüsten gebe, müsse es auch Steueroasen geben. Ist dieser Satz noch aktuell?
Im Herbst wird das Parlament voraussichtlich die globale OECD-Mindeststeuer von 15 Prozent verabschieden. Das ist in Ordnung, weil es ein globaler Kompromiss ist – dennoch fühle ich mich manchmal als Mahner in der Wüste, wenn ich sage, dass der Wettbewerb auch im Steuerbereich spielen sollte. Es ist ja schon bemerkenswert, wenn künftig von jedem unternehmerischen Erfolg mindestens 15 Prozent an den Staat fliessen sollen.
Global betrachtet sind es bemerkenswert tiefe Steuern.
Man könnte genauso über eine globale Obergrenze für Steuern sprechen. Mir bereitet der Subventionswettlauf Sorgen. Die USA leisten sich einen teuren Inflation Reduction Act, Deutschland gibt bereitwillig viel Geld in eine Chip-Fabrik. Das widerstrebt unserer Liechtensteiner DNA, die beinhaltet, dass sich Leistung lohnen soll: Der Staat nimmt wenig und lässt viel Freiraum.
Liechtenstein hat den Franken und eine Zollunion mit der Schweiz – ist aber auch im Europäischen Wirtschaftsraum. Was raten Sie der Schweiz?
Ich sehe mich nicht in der Position, der Schweiz Ratschläge zu erteilen. Für Liechtenstein war und ist der EWR in Kombination mit dem 100-jährigen Zollvertrag eine sehr gute Lösung.
Und Ihre persönliche Meinung zum Verhältnis Schweiz–EU?
Ich bin Liechtensteiner, meine Grossmutter war Schweizerin, und ich fühle mich als Liechtensteiner wie als Europäer. Berührungsängste mit der EU habe ich persönlich keine.
Wie blicken Sie auf die harzigen Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel?
In jeder Situation ist Klarheit etwas Gutes. Diese scheint aktuell nicht auf beiden Seiten gegeben, was die aktuelle Situation wohl auch charakterisiert. Klarheit kann letztendlich heissen, dass es so eben nicht weitergeht. Mehr Tempo würde sicher rascher zu Klarheit führen. Aber es braucht bei Verhandlungen eben immer zwei.
Liechtenstein hat mit das strengste Abtreibungsverbot Europas. Lockerungen scheiterten bislang am drohenden Veto des Fürsten.
Ich sehe im Moment nicht, dass das Thema zeitnah wieder auf die politische Agenda in Liechtenstein kommt. Ich persönlich denke, dass es hier eine Lösung geben sollte und wir für Abtreibungen nicht das Ausland bemühen sollten.
Mehr Offenheit scheint es bei der «Ehe für alle» zu geben. Wird diese eingeführt?
Das Parlament hat sich dafür im Rahmen einer Motion sehr offen gezeigt. Die entsprechende Vernehmlassung läuft, und ich bin überzeugt, dass die «Ehe für alle» sehr zeitnah kommt.
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