Der 19. März 2023 wird als schwarzer Tag der Schweizer Wirtschaft in Erinnerung bleiben. An diesem Datum endete die 168-jährige Geschichte der Credit Suisse. Konkurrentin UBS übernahm die Zürcher Grossbank. Unter Federführung von Finanzministerin Karin Keller-Sutter (59) sicherte der Bund der UBS im Gegenzug eine 109-Milliarden-Franken-Garantie zu. Die Kritik aus den Reihen der Linken und der SVP folgte postwendend. Am Freitag nun erfolgte der Befreiungsschlag: Die UBS teilte dem Bund nach nur fünf Monaten mit, dass die staatlichen Garantien nun nicht mehr nötig seien. Für die Steuerzahler springt damit ein Gewinn von 200 Millionen heraus, die FDP-Magistratin darf ihren Triumph feiern. Doch etliche Fragen blieben offen – Keller-Sutter stellte sich ihnen im SonntagsBlick-Interview.
Frau Bundesrätin, die UBS braucht nach fünf Monaten keine Staatsgarantie für die Credit Suisse mehr. War die finanzielle Situation der Bank im Frühling also doch besser, als Sie es öffentlich dargestellt haben?
Karin Keller-Sutter: Nein. Die Credit Suisse wäre am Montag, 20. März, nicht mehr überlebensfähig gewesen. Ein Konkurs hätte massive Schäden für die Volkswirtschaft und für die Menschen im Land mit sich gebracht. Konkret hätte das einen Ausfall des Zahlungssystems der Credit Suisse bedeutet, Schweizer KMU hätten keinen Zugriff mehr auf ihre Kredite gehabt. Die Bürgerinnen und Bürger hätten nur die Einlagensicherung für 100'000 Franken geltend machen können, aber ob und wann sie je wieder Zugriff auf ihr Konto gehabt hätten, ist unklar. Auf dem Finanzmarkt hätte es einen grossen Schaden gegeben, auch darüber hinaus: Es drohte ein Grounding der Schweizer Wirtschaft. Umso mehr begrüsse ich es, dass nun mit dem Verzicht der UBS auf die staatlichen Garantien auch die damit verbundenen Risiken für die Steuerzahlenden vom Tisch sind.
Vom Paradeplatz aus betrachtet liesse sich auch sagen: Man kann sich als Grossbank für nur 200 Millionen Franken vom Staat retten lassen. Was halten Sie von der Idee, dass solche Geldinstitute zur Vorsorge regelmässig bestimmte Summen in einen Fonds oder an den Bund zahlen?
Es gibt jetzt viele Ideen, das ist eine davon. Ich habe eine unabhängige Expertengruppe eingesetzt, die in den nächsten Wochen ihren Bericht abliefern wird. Er wird in unsere Analyse einfliessen. Diese muss gründlich sein, und wir werden sehen, wie die «Too big to fail» -Regelung angepasst werden muss.
Die ja im Fall von Credit Suisse offensichtlich nicht funktioniert hat.
Diese Gesetze wurden nach der Finanzkrise 2008 erlassen. Wenn man eine Krise erlebt, dann analysiert man und ergreift Massnahmen – und ist ganz erstaunt, dass sich die nächste Krise nicht an die Regeln hält! Bei der CS war es der absolute Vertrauensschwund, der zu einem Bank Run geführt hat. Dieser wurde durch die Digitalisierung beschleunigt: Die Kunden können beispielsweise heute via Handy ihr Geld abziehen.
Wofür braucht es eine Finanzmarktaufsicht, wenn sie solche Entwicklungen nicht sieht und verhindert?
Dass es eine starke, unabhängige Aufsichtsbehörde braucht, steht ausser Frage. Die PUK untersucht derzeit ja die Rolle aller Behörden in der Krise. Für die Zukunft stellt sich unter anderem die Frage, ob die Finma die richtigen Instrumente hat.
Und was ist Ihre Antwort? Muss die Finma aufmunitioniert werden?
Das werden die Abklärungen ergeben. Besonders schwierig war in diesem Fall, dass die Bank die gesetzlichen Bedingungen zwar erfüllte, die in der Schweiz notabene strenger sind als anderswo. Aber der Markt sah das anders. Er verlor das Vertrauen in die Bank. Es gab eine mangelnde Risikokontrolle, mehrere Managementwechsel, mehrere negative Quartalsergebnisse in Folge und zahlreiche juristische Verfahren. Das Vertrauen in die Bank, die Wende zu schaffen, war schlicht nicht mehr vorhanden. Die Rating-Agenturen haben am Freitag, dem 17. März, mitgeteilt, dass sie die CS am Montagmorgen auf «Non-Invest» herabstufen werden. Man müsste künftig sicher auch vermehrt auf solche Zeichen achten.
Karin Keller-Sutter (59) führt seit Januar das Eidgenössische Finanzdepartement. Zuvor war sie vier Jahre lang Justizministerin. Die gelernte Dolmetscherin absolvierte ein Nachdiplomstudium in Pädagogik. Ihre politische Karriere begann sie mit 29 als FDP-Gemeinderätin in Wil SG, wo sie als Wirtetochter aufgewachsen war und noch heute mit ihrem Mann lebt. Mit 33 war sie Kantonsrätin, mit 36 St. Galler Regierungsrätin.
Karin Keller-Sutter (59) führt seit Januar das Eidgenössische Finanzdepartement. Zuvor war sie vier Jahre lang Justizministerin. Die gelernte Dolmetscherin absolvierte ein Nachdiplomstudium in Pädagogik. Ihre politische Karriere begann sie mit 29 als FDP-Gemeinderätin in Wil SG, wo sie als Wirtetochter aufgewachsen war und noch heute mit ihrem Mann lebt. Mit 33 war sie Kantonsrätin, mit 36 St. Galler Regierungsrätin.
Hätte man früher Alarm schlagen sollen?
Ich überblicke nur die Zeit seit Januar, als ich ins Finanzdepartement wechselte.
Was fanden Sie dort vor?
Ich fing am 9. Januar offiziell im Finanzdepartement an. Am 11. Januar hatte ich die erste Sitzung des Lenkungsausschusses Finanzkrisen. Das Dossier hat mich von Anfang an stark beschäftigt. Anfang Februar informierte ich den Bundesrat bereits über die verschiedenen Szenarien, die sich ergeben könnten.
Sie übernahmen also das Ruder und merkten: Da brennt es.
Selbstverständlich, die Zeichen waren längst da. Es hatte bereits im Herbst 2022 eine schwierige Situation mit grossen Liquiditätsabflüssen gegeben. Im Januar/Februar 2023 hatte sich die Lage zwar etwas beruhigt, die Geldabflüsse hatten sich stabilisiert. Aber es folgte das Greensill-Verfahren. Die US-Börsenaufsicht verzögerte die Publikation des Geschäftsberichts wegen fehlender Risikokontrolle, und dann kam die Krise auf dem US-Bankenmarkt. Diese breitete sich aus wie eine Art Banken-Corona. Die CS war das nächst-schwächste Glied in dieser Ansteckungskette.
Wie gut schliefen Sie am Wochenende vom 19. März?
Ich habe einfach funktioniert. Ich kann gut fokussieren. Und ich wusste: Es geht um das Wohl unseres Landes. Wir hatten verschiedene Optionen. Die Übernahme durch die UBS war die am wenigsten schädliche. Ich fand wenig Schlaf, aber wenn ich ins Bett ging, habe ich geschlafen – es sei denn, mitten in der Nacht rief jemand an.
Die internationale Finanzpresse schilderte detailliert, dass Sie unter Druck der USA und der europäischen Regierungen gehandelt hätten.
Es kursierten viele Gerüchte. Aber Bundesrat, Nationalbank und Finma entschieden souverän. Selbstverständlich stand ich in Kontakt mit den USA, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien. Diese Regierungen teilten unser Ziel der Stabilisierung. Wir hatten also alle das gleiche Interesse. Es gab keinen Druck auf die Schweiz, aber grosse Sorge im Hinblick auf eine internationale Finanzkrise. Und alle waren froh, dass die Schweiz innerhalb von drei, vier Tagen eine stabile Lösung erarbeiten konnte.
Sie sprechen drei Sprachen fliessend und fielen an der Medienkonferenz vom 19. März mit akzentfreiem Englisch auf. Wie wichtig ist das in so einer Situation?
Dass ich mit meinen ausländischen Kollegen oder mit UBS-Präsident Colm Kelleher in den vielen Gesprächen direkt reden konnte, war sicher ein Vorteil. Der direkte Austausch war gerade in dieser Situation unerlässlich.
Was die Menschen in der Schweiz umtreibt, ist die Sorge vor der Superbank UBS und einem noch grösseren Klumpenrisiko. Was tut der Bund, damit es nicht ein drittes Mal zu einer Grossbankrettung kommt?
Der Bund ist zuständig für die gesetzlichen Rahmenbedingungen, nicht aber für die Aufsicht über die Banken. Das ist Sache der Finma. Wir müssen die Lehren aus dieser Krise ziehen, in Szenarien denken und die richtigen Instrumente schaffen. Wobei jetzt primär auch die UBS präventive Massnahmen treffen muss, denn sie ist verantwortlich für ihr Geschäft. Und noch einmal: Wir hatten im März keine Krise im Finanzsystem, sondern eine Vertrauenskrise bei der Credit Suisse. Die Schweiz kam in diese Lage, weil die Führung einer Bank ihre Verantwortung nicht wahrgenommen hat. Das ist inakzeptabel.
Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Wie die UBS einmal aussehen wird, wissen wir noch nicht. Ich kann von aussen nur sehen, dass sie die riskanten Geschäftsfelder massgeblich abbaut. Entscheidend für das Risiko einer Bank ist ja nicht nur ihre Grösse – Raiffeisen und die Kantonalbanken sind zum Beispiel im Hypothekarmarkt stark exponiert. Entscheidend sind vielmehr Geschäftsmodell und Risikokultur.
Dann sollte sich auf dem Finanzplatz Schweiz doch auch die Praxis der Boni-Zahlungen ändern, oder?
Mein Vater hat immer gesagt, dass man mit arbeiten gar nicht so viel Geld verdienen kann. Ich finde, er hatte recht. Was die Bevölkerung nicht akzeptiert, ist, wenn hohe Löhne gezahlt werden, aber die Verantwortung nicht getragen wird. Boni müssen so ausgestaltet sein, dass sie keinen Anreiz für zu grosse Risiken bilden.
Sollten ehemalige CS-Topmanager einen Teil ihrer Boni zurückzahlen?
Das Obligationenrecht sieht Verantwortlichkeiten vor. Der Fall Swissair zeigt jedoch, wie schwierig es ist, einzelne Personen zur Rechenschaft zu ziehen. Aber ich bin schon der Meinung, dass man das genau prüfen sollte. Heute sind die Hürden, Manager rechtlich zur Verantwortung zu ziehen, vermutlich zu hoch.
Aus Ihrer Partei, der FDP, kommt die Idee, dass man die CS Schweiz in die Eigenständigkeit rettet.
Ich habe Verständnis für diese Idee, aber ob die CS als eigenständige Bank überlebensfähig wäre, muss die UBS entscheiden.
Nach dem Ende der Verlustgarantie hat der Bund keine Kontrolle mehr über die UBS – CEO Sergio Ermotti darf sich freuen.
Der Bund hatte nie die Kontrolle über die Bank. Wir hatten spezifisch im Rahmen der Verlustgarantie Kontrollrechte und ein beschränktes Mitspracherecht. Aber auch ohne Garantien: Die Finanzbranche ist stark reguliert, und ich gehe davon aus, dass die UBS den Dialog mit den Behörden auch jetzt weiterführen wird, nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse. Denn in der Schweiz sind die Firmen in einem System mit Initiativen und Referenden. Hier hat das wirtschaftliche Handeln politische Konsequenzen, das weiss auch eine UBS.
Das Regieren per Notrecht – Corona, Axpo, UBS – schadet dem Vertrauen in die Politik. Sollte sich der Bundesrat nicht zurücknehmen?
Notrecht ist in der Verfassung vorgesehen und geregelt. Nicht jede Krise ist vorhersehbar. Es gibt Situationen, in denen die Regierung sehr rasch handeln können muss, um Schaden abzuwenden. Dafür ist das Notrecht vorgesehen. Dass es jetzt diese Abfolge von Krisen gegeben hat, hat sich auch der Bundesrat nicht gewünscht. Eines hingegen kann ich nachvollziehen.
Was?
Den Missmut, der in und aus der Corona-Zeit entstanden ist. Ich habe das Gefühl, dass wir als Behörden unterschätzten, welche sozialen Folgen das für die Bürgerinnen und Bürger hatte.
Woran liegt das?
Wir waren als Exekutive in der Covid-Pandemie extrem mit Krisenbewältigung beschäftigt. Wir trafen Entscheide wie am Fliessband. Aber die Menschen, die in der Ausbildung Zeit verloren, die ihre Beziehungen nicht pflegen konnten, die gewisse Eingriffe als Übergriffe wahrnahmen – rückblickend muss ich sagen: Das hat dazu geführt, dass Kritik am staatlichen Handeln schärfer geworden ist. Dies erklärt, glaube ich, auch die hohe Sensibilität, als wir bei der CS-Krise erneut Notrecht anwenden mussten. Auch wenn eine Handlung richtig ist, kann sie negative Gefühle auslösen. Das darf man nicht unterschätzen.