Schweiz-Kritiker Ulrich Thielemann
«Boni machen Banker korrupt»

Ulrich Thielemann kritisierte 2009 die Steueroase Schweiz – und fiel an der Universität in St. Gallen in Ungnade. Was denkt er über das Ende der Credit Suisse?
Publiziert: 30.07.2023 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2023 um 19:25 Uhr
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Der frühere HSG-Dozent Ulrich Thielemann lebt in Berlin.
Foto: Jens Gyarmaty/laif
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Ein Satz zerstörte Ulrich Thielemanns (62) akademische Karriere. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags wollte 2009 vom Wirtschaftsethiker der Universität St. Gallen (HSG) wissen, ob die Schweiz auch ohne internationalen Druck das Bankgeheimnis gelockert hätte. Thielemann verneinte die Frage, denn: «Darüber besteht in der Schweiz keinerlei Unrechtsbewusstsein, überhaupt kein Problembewusstsein.»

Das Ganze geschah im März 2009, kurz nach dem berüchtigten Indianer- und Kavallerie-Zitat von Peer Steinbrück. Nach dem deutschen Finanzminister nun also Thielemann. Schon wieder ein Deutscher, der die Schweiz kritisierte! Ausgerechnet ein HSG-Dozent, der mit dem Schweizer Bankenplatz abrechnete!

Die SP jubelte, der HSG-Rektor tobte und sagte: «Thielemann hat der HSG geschadet.» Manche forderten Thielemanns Entlassung. Der Universitätsrat kam 2010 zum Schluss: Thielemann habe im Deutschen Bundestag «das richtige Augenmass» und die «Folgewirkung seiner Aussagen» erheblich vermissen lassen. Allerdings seien ihm keine schwerwiegenden Verfehlungen vorzuwerfen.

Geld versteuern, wo man lebt

Für Thielemann stand fest: An der HSG hatte er keine Zukunft mehr. Wie geht es ihm heute, 14 Jahre später? «Ich spüre keinen Groll», erzählt Thielemann während eines Spaziergangs durch das Berliner Regierungsviertel. «Die Sache ist für mich Geschichte, auch wenn sie sehr aufreibend war.» Er berichtet von Anfeindungen und Morddrohungen. «Geholfen hat mir das Gefühl, recht zu haben. Es gibt kein Argument, das Steuerflucht ethisch legitimiert.»

Er kritisiere nicht, wenn Menschen auswanderten, sondern wenn sie «ihr Geld ins Ausland verschieben, um keine Steuern zu zahlen. Die Menschen sollen ihr Geld dort versteuern, wo sie leben.» Eine Tessiner Krankenschwester habe ihm damals geschrieben, er solle die Wahrheit weiterhin beim Namen nennen. Solche Nachrichten hätten ihm damals Kraft gegeben.

«Wir fahren unseren Planeten gegen die Wand»

Auch wenn Thielemann keine Hörsäle mehr füllt, hat er etwas Professorales. Manchmal holt er lange aus und spricht fünf Minuten am Stück, bis er unterbrochen wird. Manchmal antwortet er kurz und knapp: «Wir fahren unseren Planeten gegen die Wand. Der Uno-Generalsekretär sagt, wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – doch nichts passiert.»

Thielemann hat an der HSG in St. Gallen seine Frau kennengelernt – ebenfalls eine Deutsche. Von St. Gallen ging es nach Berlin, das Paar bekam zwei Töchter, die heute acht und zehn Jahre alt sind. Mit seinen Töchtern spreche er nicht über seine Sorge um den Planeten. «Sie sollen unbeschwert aufwachsen.» Aber Thielemann und seine Frau haben entschieden, nicht mehr zu fliegen. In den Sommerferien gehts an die Ostsee und nach Dänemark.

Immer wieder hat Thielemann den Bankenplatz Schweiz kritisiert. Schnell kommen wir auf den 19. März zu sprechen, das Grounding der Credit Suisse.

Herr Thielemann, gibt Ihnen das Ende der Credit Suisse recht?

Ulrich Thielemann: Nein. Ich würde mich im Recht fühlen, wenn die Credit Suisse an ihrem Unrecht zugrunde gegangen wäre. Doch die Credit Suisse ist für ihr riskantes Verhalten bestraft worden, nicht für Missetaten. Der Credit Suisse wurde das Auftürmen kurzsichtiger Scheingewinne zum Verhängnis, nicht ihr Sündenregister. Die meisten der Verantwortlichen dürften ihre Schäfchen im Trockenen haben.

Was muss sich ändern?
Boni korrumpieren moralisch und sollten deutlich begrenzt werden. Wenn ein Banker ethisch verantwortungsvoll handeln möchte, andere aber mit ruchlosem Verhalten fette Boni kassieren, entsteht eine toxische Kultur. Ethik hat dann keine Chance.

Die Banken argumentieren, das sei Populismus. Ohne Boni sei kein gutes Personal zu bekommen.
Banken haben jahrhundertelang praktisch ohne Boni funktioniert. Man muss sie dazu zwingen. Das Ende der Credit Suisse zeigt doch: Banken müssen vom Staat gerettet werden, sind also keine Privatveranstaltungen. Es ist unvorstellbar, dass die CS ohne die Bonus-Gier-Kultur in die Lage gekommen wäre, die zu ihrem Ende geführt hat.

Thielemann kritisiert «Rendite um jeden Preis»

Auf dem Spaziergang durch das Berliner Regierungsviertel spricht Thielemann immer wieder von «Rentabilitätsextremismus». Ein Wortungetüm, mit dem er «Rendite um jeden Preis» meint – koste es andere, was es wolle.

«Rentabilitätsextremismus wird an jeder Business School gelehrt, auch an der HSG in St. Gallen», sagt Thielemann. «Ein Teil der HSG betreibt exzellente Wissenschaft, aber das Selbstverständnis ist doch eher, ein Ausbildungscamp für angehende Manager zu sein. Sie lernen, wie man den Kapitalwert maximiert. Andere Werte und Interessen werden nur berücksichtigt, wenn sie Rückwirkungen auf den Gewinn haben.»

Ein ungehörter Prophet

Mehrmals betont der Wirtschaftsethiker, ihm gehe es nicht um Schweiz-Bashing. «Ich habe im Deutschen Bundestag auch andere Steueroasen kritisiert.» Thielemann erzählt von einem kritischen Gutachten, das er für das Fürstentum Liechtenstein geschrieben habe. Das Gutachten sei bis heute unter Verschluss. Leaken wolle er es nicht: «Ich will nicht verklagt werden.»

Thielemann hat etwas von einem Propheten, der sich nicht gehört fühlt. Über Gefühle spricht er ungern. Erst beim Mittagessen, nach einem Falafel in Kreuzberg, sagt er: «Nicht durchzudringen, ist ganz schön frustrierend.» Nach seinem Exodus aus der Schweiz hat er in Berlin eine «Denkfabrik für Wirtschaftsethik» gegründet. «Die Resonanz ist bescheiden.»

Und bescheiden sei auch sein Einkommen. Nach der Rückkehr aus der Schweiz habe er sich die zweite Säule ausbezahlen lassen und davon ein Haus in Berlin-Tempelhof gekauft. «Ich lebe von Ersparnissen. Und ein bisschen von Honoraren, die zusammenkommen.»

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