Auf den Schock folgt Wut, dann Ratlosigkeit: «Wohin soll ich mich wenden, wer hilft mir nun weiter?», fragt die Long-Covid-Betroffene. In einem Brief vom 17. Januar hat ihr das Kantonsspital Graubünden in Chur mitgeteilt, sie werde per sofort nicht mehr betreut und beraten; die Poliklinik stelle die Sprechstunde ein. Sie ist eine von rund 100 Patienten, die zuletzt in der Sprechstunde betreut wurden.
Die Einstellung geschah ohne Vorwarnung von heute auf morgen. Spitalsprecher Dajan Roman sagt dazu, man habe die Sprechstunde so lange wie möglich angeboten. Verstärkt und beschleunigt durch mehrere unerwartete Ausfälle im Team habe man realisiert, «dass es nicht möglich ist, wie bisher weiterzufahren». Man könne nicht riskieren, dem Team durch die Belastung noch mehr Schaden zuzufügen. «Deswegen mussten wir reagieren und einen abrupten Stopp einlegen.» Auch die Betreuung anderer Patientengruppen würde sonst leiden.
Vor wenigen Tagen hatte der Sprecher noch zu beschönigen versucht. Zu CH Media hatte er gesagt, das Angebot der Long-Covid-Sprechstunde werde reduziert, indem keine neuen Betroffenen aufgenommen würden. Die bisherigen Patienten betreue das Spital «im Rahmen des Möglichen» weiter.
Viele offene Fragen
In den letzten Monaten habe das Spital viele Long-Covid-Erkrankte wieder an Hausärzte oder andere Stellen überwiesen, sagt Roman. Die 100 Patientinnen und Patienten der Sprechstunde fragen sich nun, wer ihnen eine Rehabilitation verschreiben soll oder wie sie anfälligen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung geltend machen können. Vor dem Hintergrund, dass das Kantonsspital in Chur nächstes Jahr einen 400 Millionen Franken teuren Neubau eröffnen wird, bringt die Massnahme Betroffene erst recht in Rage. Sprecher Dajan Roman sagt dazu, die meisten anderen Spitäler hätten gar nie ein Angebot für Long-Covid-Patienten gehabt.
Schon einige Wochen vor dem Kantonsspital Graubünden hatte das Kantonsspital Aarau sein Angebot einer Long-Covid-Sprechstunde eingeschränkt. Etwas, was am Universitätsspital Zürich nicht zur Diskussion steht. «Wir wollen die Sprechstunde beibehalten», sagt Dominique Braun, Leiter der ambulanten Sprechstunde an der Klinik für Infektionskrankheiten. In den letzten zwei Jahren habe man Hunderte von Betroffenen untersucht und beraten. Die meisten Patienten wiesen neben Erschöpfungssymptomen weitere Beschwerden und Begleiterkrankungen auf, die man interdisziplinär behandle, erklärt Braun. Die Nachfrage sei anhaltend gross, die Wartezeit für einen Termin betrage rund acht Wochen.
Viele Betroffene und wenig Hilfe
Fachleute schätzen, dass in der Schweiz rund 300'000 Personen durch Long Covid beeinträchtigt sind, ein beträchtlicher Teil von ihnen kann nur noch reduziert oder gar nicht mehr arbeiten. Bei der Invalidenversicherung seien 5000 schwere Fälle angemeldet, sagt Chantal Britt vom Verein Long Covid Schweiz. «Die meisten Betroffenen müssen sich aber selbst behandeln, weil sie keine Hilfe erhalten.»
Hoffnung schöpfen Patienten, seit Forscher eine Methode gefunden haben, Long Covid im Blut nachzuweisen. Das würde die Krankheit klarer definierbar und eher behandelbar machen.