In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten – zog in diesem Fall nicht. Das Regionalgericht Plessur in Chur hatte nämlich keinen Zweifel: Der ehemalige Bündner Verwaltungsrichter Manuele G.* hat seine damals 24-jährige Praktikantin an einem Abend im Dezember 2021 vergewaltigt.
Er soll damals gemäss Schilderung des Opfers über sie hergefallen sein, habe ihr den Fluchtweg versperrt und sie in seinem Büro im Verwaltungsgericht Graubünden in Chur vergewaltigt haben. Für das Gericht ist nun klar: Ja, hat er.
Er muss nicht ins Gefängnis
«Mit Urteil vom 08.11.2024 hat das Gericht den Beschuldigten der Vergewaltigung, der mehrfachen tätlichen sexuellen Belästigung sowie der mehrfachen Drohung schuldig gesprochen», hält das Gericht in einem eingeschriebenen Brief an die Medien fest.
Ins Gefängnis muss der Ex-Richter damit aber nicht – sofern er in den nächsten zwei Jahren nicht noch einmal droht, belästigt oder vergewaltigt. Das Gericht verurteilt ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten und zu einer Geldstrafe von insgesamt 5400 Franken – alles bedingt aufgeschoben zugunsten einer Probezeit von zwei Jahren. Einzig eine Busse von 2300 Franken muss der Verurteilte bezahlen.
Praktikantin war glaubhaft – Richter nicht
«Nach eingehenden Befragungen des Beschuldigten und des Opfers» sei das Regionalgericht Plessur zur Überzeugung gelangt, dass die ehemalige Praktikantin glaubhafte Aussagen gemacht habe. «Demgegenüber vermochten die Darlegungen des Beschuldigten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht zu entkräften», schreibt das Richtergremium.
Der Tatbestand der sexuellen Nötigung, der ebenfalls angeklagt war, sei vom Tatbestand der Vergewaltigung eingeschlossen. «Der Beschuldigte wurde sodann vom Vorwurf der mehrfachen schriftlichen sexuellen Belästigung mangels Vorliegen eines Vorsatzes in dubio pro reo freigesprochen.» Weitere Verfahren wegen mehrfacher verbaler und tätlicher Belästigung seien zudem eingestellt worden, weil sie bereits verjährt sind.
«Sie hätte ihm ja eine runterhauen können»
Für viel Aufsehen sorgte während der Gerichtsverhandlung zudem eine Frage eines Mitglieds des dreiköpfigen Richtergremiums. Der Laienrichter fragte das Opfer der Vergewaltigung: «Hätten Sie nicht die Beine besser zusammenpressen müssen?» und stiess damit einen öffentlichen Aufschrei an.
Auch die Anwälte des angeklagten Richters lehnten sich mit der Täter-Opfer-Umkehr weit aus dem Fenster. Eine «Femme fatale», sei die Praktikantin gewesen. Eine Frau, die ihre Reize gezielt einsetzte und damit «ein Feuer entfachte, das sie nicht mehr zu löschen vermochte.» Die junge Frau hätte sich besser gegen die Avancen des Richters wehren müssen, hiess es von der Verteidigung. «Sie hätte ihm ja eine runterhauen können», so die Empfehlung des Richter-Anwalts.
200 Menschen strömten am Freitagabend auf die Strassen von Chur, um gegen diese Aussagen und die Behandlung des weiblichen Geschlechts zu demonstrieren. «Die Scham muss die Seite wechseln» lautete das Motto an dieser Demonstration. Zumindest erstinstanzlich hat sie das nun.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
* Name geändert