Auf einen Blick
- Mutmassliche Vergewaltigung und Nötigung am 13.12.2021 im Büro
- Der Beschuldigte nutzte seine Machtposition laut Anklage aus, um sexuelle Handlungen zu erzwingen
- Mehrfache schriftliche, verbale und tätliche Belästigungen während des Praktikums
- Anonyme Drohungen im September 2023 gegen mutmassliche Geschädigte
Hat der Ex-Richter die Praktikantin vergewaltigt? Der zweite Tag des Vergewaltigungsfalls von Chur stand am Freitag ganz im Zeichen der Anwälte. Der ehemalige Verwaltungsrichter Manuele G.* musste sich wegen Vergewaltigung, mehrfacher sexueller Belästigung, mehrfacher Drohung und Ausnützen einer Notlage verantworten.
Die Staatsanwälte eröffneten den Tag. Der Ex-Richter soll seine Praktikantin, damals 24 Jahre alt, im Jahr 2021 per Chat, mündlich und physisch sexuell belästigt haben. Zudem habe er sie am 13. Dezember 2021 im Verwaltungsgericht Graubünden vergewaltigt. So der Vorwurf.
Die Ankläger folgten am Morgen hauptsächlich den bereits bekannten Argumenten aus der Anklageschrift und machten klar: G. soll happig die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.
Für die Vergewaltigung will die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis schicken. Einen Monat davon, weil er nicht einsichtig ist, so die Staatsanwältin. Im Fall einer Verurteilung müsste der Beschuldigte mindestens ein halbes Jahr absitzen.
Zudem soll er eine Busse in der Gesamtsumme von 3300 Franken und eine Geldstrafe von 5400 Franken bezahlen – letztere allerdings bedingt. Überdies soll er ein lebenslanges Tätigkeitsverbot kassieren. Die Privatverteidigerin fordert darüber hinaus eine Genugtuung von 18'000 Franken.
Demgegenüber stehen die Argumente der Verteidigung, die gleich mit zwei Anwälten auftrat. In einem über sechs Stunden langen Plädoyer referierten die Anwältin und der Anwalt des beschuldigten Ex-Richters über jedes noch so kleine Detail der Chats, der Begegnungen und der Vergewaltigung. Kernpunkt ihres Plädoyers sind dabei die fehlenden Samen- und Speichelspuren im Unterleib der damals 24-jährigen Ex-Praktikantin und die nicht vorhandenen Verletzungen wie Rötungen, Blutergüsse und dergleichen. Diese hätte es gebraucht, damit man von einer Vergewaltigung sprechen könnte, so die Argumentation.
«Ein simples ‹Manuele, nein› reicht halt nicht!»
In ihrem Monster-Plädoyer liessen die Verteidiger dabei kaum eine Gelegenheit aus, die Praktikantin so unglaubwürdig wie möglich darzustellen und die eher schüchterne Frau zur Verführungskünstlerin hochzustilisieren. «Eine Art Femme fatale» sei sie im Verwaltungsgericht gewesen. Sie habe ihre Reize gezielt eingesetzt. So sei ihr schon damals nachgesagt worden, sie hätte auch mit einem anderen Richter etwas gehabt. Mit dem Richter-Flirt habe sie ein Feuer «entfacht, das sie nicht mehr zu kontrollieren vermochte».
Zur mutmasslichen Vergewaltigung im Dezember 2021 sagen die beiden Anwälte, die junge Frau hätte laut sagen und klarmachen müssen, dass sie einen sexuellen Kontakt nicht wolle. «Ein simples ‹Manuele, nein› reicht halt nicht!», so die Argumentation des Anwalts des Ex-Richters. Dass sie das nicht gemacht habe, spreche dafür, dass die Praktikantin diesen «Flirt» genauso gewollt hatte, wie der Richter. Die Verteidigung fordert einen Freispruch.
«Grosse Dummheit»
Der Angeklagte weinte zum Schluss der Verhandlung. «Ich habe mir lange überlegt, was ich zum Schluss sagen will und ob ich überhaupt etwas sagen möchte. Ich möchte mich entschuldigen bei meiner Familie, meinen Kindern und den wahren Freunden, die geblieben sind.» Bei diesen möchte er sich gleichzeitig bedanken, sagte der Richter. «Ich habe mich moralisch und ethisch falsch verhalten. Strafrechtlich habe ich mir aber nichts zuschulden kommen lassen.»
Er spricht von einer grossen «Dummheit». Er sei immer überzeugt gewesen, dass die Gespräche mit der Praktikantin einvernehmlich waren. Aber er habe sich nichts Strafrechtliches zuschulden kommen lassen, so Manuele G. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Das schriftliche Urteil wird für den 8. November erwartet.
* Name geändert
Ende – Urteil kommt schriftlich
Damit ist dieser intensive Prozess nach zwei Tagen vorüber. Die Parteien verzichten allesamt auf eine mündliche Verkündung des Urteils. Das Urteil wird darum schriftlich eröffnet und versendet. Die Richterin stellt in Aussicht, dass das Gremium ungefähr am 8. November zu einem Entscheid kommen dürfte.
Vielen Dank fürs Mitlesen und für die Aufmerksamkeit. Ein schönes Wochenende aus Chur.
Beschuldigter weint zum Schluss
Nach einer fast zwölfstündigen Verhandlung und «zwei intensiven Tagen» gibt die vorsitzende Richterin dem angeklagten Ex-Richter das Schlusswort. «Ich habe mir lange überlegt, was ich zum Schluss sagen will und ob ich überhaupt etwas sagen möchte. Ich möchte mich entschuldigen bei meiner Familie, meinen Kindern und den wahren Freunden, die geblieben sind.» Bei diesen möchte er sich gleichzeitig bedanken.
«Ich habe mich moralisch und ethisch falsch verhalten. Strafrechtlich habe ich mir aber nichts zuschulden kommen lassen.» Er spricht von einer grossen «Dummheit». Er sei immer überzeugt gewesen, dass die Gespräche mit der Praktikantin einvernehmlich waren. «Ich nehme aber zur Kenntnis, dass das Einverständnis meines Gegenübers nicht da war. Ich habe die Ablehnung nicht gespürt. Wenn das so war, tut es mir unendlich leid.»
Er bittet das Gericht, dem medialen Druck standzuhalten und sich nicht von diesem leiten zu lassen. «Sie haben mein Leben in Ihren Händen», wendet er sich direkt an die Richterin. Nun versagt ihm die Stimme. «Das sage ich Ihnen in aller Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit», sagt der ehemalige Richter und weint.
Die Verteidigung des Richters darf noch mal ran
Noch einmal kommen die beiden Anwälte des Ex-Richters an die Reihe. «Ich bin beruhigt, dass Kollege Staatsanwalt doch sehr strukturiert Stellung genommen hat.» Auch er darf noch einmal Antwort geben auf die vorherigen Ausführungen der Staatsanwaltschaft. Er kritisiert die bereits erwähnten fehlenden Film- und Tonaufnahmen der Einvernahme der Praktikantin. Das sei nicht rechtsstaatlich. Hier sei hinter verschlossenen Türen etwas gemacht worden, sagt der Anwalt. «Viel krasser kann man die Parteienrechte eines Beschuldigten eigentlich nicht verletzen.»
Die Anwältin der Praktikantin hat noch mal das Wort
Auch die Anwältin der damaligen Praktikantin kann noch einmal das Wort ergreifen. Viele der Argumente der Verteidigung des Ex-Richters seien «aus dem Zusammenhang gerissen», sagt sie. «Wenn ich das alles jetzt aufarbeiten müsste, müssten wir jetzt erst ein paar Stunden Pause machen.» Sie nimmt zu ausgewählten Punkten, an denen sie sich besonders stört, noch einmal Stellung.
Staatsanwalt hält zweiten Vortrag
«If you can't convince them, confuse them» – mit diesem Zitat von Harry Truman steigt der Staatsanwalt in sein Antwortplädoyer ein. Zu Deutsch: «Wenn du sie nicht überzeugen kannst, verwirr sie.»
Für ihn hätten die langen Ausführungen der Verteidiger des ehemaligen Richters irgendwann «den Rahmen des Zweifelsäens gesprengt». Er lässt viele der detailreichen Argumente der Verteidiger noch kurz Revue passieren und sagt: «Die haben für mich wenig mit der Sache und nichts mit der Beweisführung zu tun.»
Plädoyer ist nach fast sieben Stunden vorbei
Die Anwältin bedankt sich für die Geduld. «Wir haben heute lange plädiert, ich danke für die Aufmerksamkeit.» Sie appelliert noch einmal an die Richterin und die Richter: Im Vergewaltigungsfall von Chur gebe es zu viele Unstimmigkeiten, die das Gericht nicht ignorieren sollte. Damit hat die Verteidigerin des Ex-Richters geschlossen.
Zürcher Anwältin gewährt den Bündnern Rabatt
Die Zürcher Anwältin des Ex-Richters kommt zu den Honorarnoten. «Sie werden verstehen, dass sich meine Honorarnote nach Zürcher Verhältnissen misst. Also erschrecken sie nicht», sagt sie und lacht. Schnell gibt sie an, sie wisse, dass es im Kanton Graubünden ein bisschen anders sei. «Deshalb habe ich einen Rabatt gewährt.»
Die Drohung per Brief war keine Drohung
Nun geht es um die Drohung des Richters gegenüber der Praktikantin. Er soll ihr und ihrem Freund einen anonymen Brief geschickt haben, in dem er den beiden drohte, es sei dafür gesorgt worden, dass sie ihre Anwaltsprüfungen nicht bestehen würden.
Diese Drohung sei nur schon deswegen keine Drohung, weil der Angeklagte gar keinen Einfluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Anwaltsprüfung hatte. Dies wiege für eine Drohung zu wenig schwer. Die Anwältin gibt aber zu: «Diese Tat war nicht entschuldbar.» Aber aufgrund seiner damaligen psychischen Verfassung sei sie zumindest erklärbar.
«Nicht derb und nicht vulgär»
Die grosse Zahl der Chatnachrichten zeigten gemäss Anwältin eindrücklich, dass es sich hierbei nicht um eine einseitige Belästigung handeln könne. Die Praktikantin habe oft innert Minuten reagiert und ihm zurückgeschrieben. Sexuelle Belästigung sei in kaum einem der Fälle wirklich nachzuweisen. Die Nachrichten seien «nicht derb und nicht vulgär» gewesen.
Anwältin macht Verjährung geltend
Die Verteidigerin des beschuldigten Richters fährt fort. Sie will eine Verjährung für die Straftatbestände der sexuellen Belästigung in einer Vielzahl von Fällen. Anschliessend geht sie genaustens auf die Bedeutung des Straftatbestandes «sexuelle Belästigung» ein.