Zahlreich, laut und hässig. Das sind drei Adjektive, mit denen man den Aufzug von Demonstrantinnen und Demonstranten an diesem Freitagabend in Chur beschreiben könnte. Sie alle sind aus Frust, Verzweiflung und Unverständnis auf den Theaterplatz gekommen.
Just an den Ort, an dem vor genau einer Woche der Strafprozess gegen einen ehemaligen Bündner Verwaltungsrichter über die Bühne ging. Ihm wurde von seiner ehemaligen Praktikantin unter anderem vorgeworfen, sie vergewaltigt zu haben.
«Beine besser zusammenpressen»
Die Frau musste während der Befragung viele intime Details aus ihrem Sexualleben preisgeben und einer der drei Richter fragte die junge Frau: «Sie sind ja nicht unkräftig gebaut. Hätten Sie die Beine nicht besser zusammenpressen müssen?»
Dieser Satz hat nun Konsequenzen – politisch und gesellschaftlich. So fordern mehrere Juristen den Rücktritt des Bündner Richters.
Mehr zum Vergewaltigungsfall von Chur GR
Die ungefähr 200 Demonstrantinnen und Demonstranten trugen auf Transparenten und Postern Parolen vor sich her: «Dieses Gericht schmeckt mir nicht», «my body my choice» oder auch «Echte Männer sind respektvoll.»
Auf der Treppe des Grossratsgebäudes, wo letzte Woche noch der wegen Vergewaltigung angeklagte Ex-Richter vor Gericht stand, stellten sich die lautstarken Demonstrantinnen auf. Einzelne Buchstaben in den Händen gehalten formten den Satz: «Uns fehlen die Worte.»
Richter sollen eine Schulung bekommen
Aufgerufen hatte das Feministische Kollektiv des Kantons Graubünden. Mitglied und Churer SP-Gemeinderätin Giulia Casale (45) sagt zu Blick: «Es herrscht eine veraltete, patriarchale Haltung, wie man mit dem anderen Geschlecht umgeht.»
Eine weitere Demonstrantin war alt SP-Nationalrätin Sandra Locher Benguerel (49): «Wir sind heute hier zusammengestanden, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen und um zu zeigen, dass wir sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft nicht tolerieren.»
Die Fragen und Aussagen von Richter und Anwälten des Beschuldigten hätten eine «rote Linie überschritten».
Konkret fordern sie, dass Richterinnen und Richter eine Schulung bekommen, um sich das neue Sexualstrafrecht, das seit Sommer dieses Jahres in Kraft ist, zu verinnerlichen. Neu gilt: Nein heisst nein. So liegt eine Vergewaltigung neu dann vor, wenn das Opfer dem Täter durch Worte oder Gesten zeigt, dass es mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist. Die Frage des Richters an die Praktikantin zeige, dass dieses neue Gesetz offenbar noch nicht in den Köpfen angekommen sei.
Die Beratungen zum Urteil im Vergewaltigungsfall von Chur verzögerten sich, teilte das Gericht Ende Woche mit. Das Urteil folgt voraussichtlich am Dienstag.
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