Dem Richtergremium des Regionalgerichts Plessur GR dürfte dieses Urteil nicht leicht fallen: Ausgerechnet ein ehemaliger Richter-Kollege sitzt auf der Anklagebank, weil er eine Praktikantin vergewaltigt haben soll. Am Dienstag wird das Verdikt schriftlich bekannt gegeben – unter den kritischen Augen der Öffentlichkeit.
Die Ausgangslage ist unschön: Ein Bündner Verwaltungsrichter soll Ende 2021 eine damals 24-jährige Praktikantin in seinem Büro vergewaltigt haben. Schon vorher hat er die junge Frau laut Anklage unter anderem mit Nachrichten belästigt («I will di»). Der gefallene Richter selbst meinte hingegen, alles sei einvernehmlich gewesen. Auch wenn der «Flirt» mit der eigenen Praktikantin moralisch verwerflich gewesen sei, habe er sich nicht strafbar gemacht: «Wir hatten Freude aneinander.» Aussage gegen Aussage, Indiz gegen Indiz. Es droht eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren.
Bündner Justiz steht in der Kritik
Was die Ausgangslage zusätzlich erschwert: Die Bündner Justiz setzte sich schon vor Prozessbeginn in die Nesseln. Dass der Fall nicht von einem neutralen, ausserkantonalen Staatsanwalt untersucht wird, sorgte für heftige Kritik. Ausgerechnet in einem Kanton wie Graubünden, wo man sich noch kennt, soll ein Kollege gegen seinen Kollegen ermitteln!
Als die Verhandlung dann losging, wuchs der Druck erneut. Rund 200 Menschen demonstrierten nach der Hauptverhandlung. Nicht nur gegen den mutmasslichen Täter, sondern auch gegen die Richter, die über ihn urteilen müssen.
Die Wut der Bevölkerung hat das Gremium mit der Formulierung einiger seiner Fragen an das Opfer auf sich gezogen. «Hätten Sie die Beine nicht besser zusammenpressen müssen?», musste sich die junge Frau von einem Regionalrichter anhören. Der Churer Jurist Jean-Pierre Menge forderte in einem Leserbrief den Rücktritt des Richters, der die Frage gestellt hat: «Eine solche Frage muss als grober Schlag ins Gesicht des Opfers bezeichnet werden.»
Das Urteil kommt am Dienstagmorgen
Eigentlich hätte das Urteil bereits am vergangenen Freitag eröffnet werden sollen. Aber dem Richtergremium hat die Zeit nicht gereicht. Nun soll per eingeschriebenem Brief informiert werden, mit Sperrfrist am Dienstag um 8 Uhr. Dazu gab es gleich noch einen Rüffel an die Journalisten: Man solle auf «unnötige Blossstellung» und «suggestive Berichterstattung» verzichten.
Gut möglich, dass der Fall mit dem Urteil noch nicht abgeschlossen ist und vor die nächste Instanz geht. Denn für alle Beteiligten steht viel auf dem Spiel. Auch für den Regionalrichter, der wegen seiner Fragen mit Rücktrittsforderungen konfrontiert ist. Gegenüber Blick sagte er, er könne sich während der Urteilsfindung nicht damit auseinandersetzen, «zu einem späteren Zeitpunkt» aber schon.