Unser Gesundheitswesen steht unter Druck. Viele Notaufnahmen sind überlastet. Das Wasser stehe ihm schon lange «bis zu den Nasenlöchern», klagte kürzlich ein Basler Notfallmediziner in den Medien. Und die Kinderspitäler sind schweizweit so überfüllt, dass die kleinen Patienten im Notfall quer durch das Land transportiert werden müssen auf der Suche nach einem Bett. Ärzte und Pflegepersonal kapitulieren vor der Dauer-Überlastung und kündigen, wie es im Spital Einsiedeln SZ im Sommer passierte. Dort gingen gleich alle Assistenzärzte gleichzeitig. Wie unangenehm es für Patienten in einem überlasteten System werden kann, musste Thomas Disch (55) aus Schaffhausen erleben.
Als der Öko-Landwirt mit IT-Hintergrund vor gut zwei Wochen plötzlich unter starken Bauchschmerzen litt, war ihm schnell klar: Es liegt am Blinddarm. «Ich ging ins Kantonsspital Schaffhausen, das liegt nur fünf Minuten von meinem Hof entfernt», erzählt er Blick. Nur: Statt Hilfe zu bekommen, sei er in der Notaufnahme zunächst ignoriert worden: «Man hat nicht mal Notiz von mir genommen. Dabei hatte ich starke Schmerzen.» Und: «Eine Securitas-Angestellte hat mir irgendwann wenigstens einen Stuhl gebracht.»
Patient musste um Aufmerksamkeit des Personals kämpfen
Der Spital-Aufenthalt ging in diesem Stil weiter. Um die Aufmerksamkeit des Pflegepersonals habe er als Patient regelrecht kämpfen müssen, so der Landwirt. Und Arztvisiten haben manchmal eher Sekunden als Minuten gedauert. «Für die Körperpflege blieb kaum Zeit. Ich lag ständig in einem Bett, das voll mit Schweiss und Blut war.»
Bei der OP kam es auch noch zu Komplikationen, die eine Nach-OP nötig machten. Und der Austritt nach fünf Tagen fühlte sich überstürzt an. «Ich fühlte mich noch nicht bereit und habe das der Schwester vor dem Austritt auch gesagt.» Aber: Er fühlte sich nicht ernst genommen. «Verängstigt» sei er also noch Hause gegangen, so Disch. Kaum aus dem Spital platzt die Operationswunde wieder auf – und sorgt schon für den nächsten Besuch auf der Notaufnahme.
Spital-Personal in Schaffhausen schlägt Alarm
Das Schaffhauser Pflegepersonal hat ob der prekären Arbeitsbedingungen Alarm geschlagen, schon vor Monaten. Es beklagte in einem offenen Brief, der im Gebäude aufgehängt wurde: «Seit 2020 herrscht am Patientenbett eine Ausnahmesituation.» Patienten können «nicht mehr komplett gewaschen werden», zitierte die «Schaffhauser AZ» aus dem Schreiben. Es komme vor, dass diejenigen Patienten, «die nicht selbst trinken können, unterversorgt sind» und: «Patienten bleiben in vollen Einlagen liegen, länger als nötig.» Schlimmer noch: Die Dosierung von Medikamenten könne nicht mehr überprüft werden. Damals hiess es von der Spitalleitung: Man nehme den Brief ernst und wolle Massnahmen einleiten.
An vielen Schweizer Spitälern sind die Zustände zunehmend prekär, weiss Susanne Gedamke, Geschäftsführerin der Schweizerischen Patientenorganisation SPO. «Die Situation wird sich noch verschlimmern. Der Höhepunkt des Problems ist noch nicht erreicht», sagt sie im Gespräch mit Blick.
Zwar sei der Spital-Notstand für die Patientinnen und Patienten nicht überall direkt spürbar. Aber: An den Ecken und Enden des überlasteten Systems beginnt es auch aus Patientensicht immer mehr zu knorzen. «Betroffen sind vor allem die Kinderspitäler und die Notaufnahmen. Auch, dass nicht zeitkritische Eingriffe verschoben werden, hat wieder zugenommen», so Gedamke.
Spital-Leitung will Gespräch mit Patient suchen
Was sie ebenfalls regelmässig von Patienten, aber auch von Pflegenden höre: «Die Menschlichkeit leidet extrem. Man hat keine Zeit mehr, mit den Patienten zu reden.» Gedamke warnt: «Wenn eine medizinische Krise eintritt und das System schon am Anschlag ist, kann es kippen. Wie jetzt zum Beispiel mit der Ausbreitung der RS-Viren in den Kinderspitälern. Irgendwann gibt es gröbere Auswirkungen.»
Thomas Disch würde die Analyse wohl unterschreiben. Der Landwirt kuriert sich momentan zu Hause aus. «Ich hoffe, dass ich nicht mehr so schnell ins Spital muss. Und wenn doch, werde ich vorher genau abklären, wo ich hingehe.»
Bei den Spitälern Schaffhausen heisst es auf Anfrage: «Wir leiden, wie andere Gesundheitseinrichtungen in der Schweiz, am Fachkräftemangel und verzeichnen eine Zunahme von Personen, die die Notfallstation aufsuchen.» Deshalb habe man im stationären Bereich weniger Betten in Betrieb als üblich.
Es seien diverse Massnahmen getroffen worden, um die Pflegemitarbeitenden zu entlasten, darunter zum Beispiel das Ermöglichen von Teilzeitarbeit und der Intensivierung der Rekrutierung. Mit Thomas Disch würde man gerne das Gespräch suchen, heisst es weiter.