«Seit ich hier wohne, habe ich Asthma»
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Asylant aus Steckborn TG:«Seit ich hier wohne, habe ich Asthma»

Flüchtlingskrise auch in Landgemeinden – Blick besucht Steckborn TG
Verzweifelte Asylsuchende, besorgte Einheimische

100'000 Menschen suchten letztes Jahr Zuflucht in der Schweiz. Asylbewerber prägen nicht nur das Strassenbild in den Städten: Steckborn TG steht sinnbildlich dafür, dass die Flüchtlinge inzwischen auch auf dem Land sichtbar sind.
Publiziert: 14.02.2023 um 00:54 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2023 um 08:22 Uhr
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Rohat Cubuk (24) wohnt seit drei Wochen mit seiner Frau und den zwei Kindern in der Asyl-Unterkunft von Steckborn TG. Im Bild Cubuk mit seinem elfmonatigen Sohn.
Foto: STEFAN BOHRER

Die Schweiz sieht sich mit der grössten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Reto Kormann vom Staatssekretariat für Migration (SEM) erklärt auf Blick-Anfrage, dass im Winter die Asylgesuche normalerweise deutlich abnehmen würden. «Das ist in diesem Winter nicht der Fall.»

Im gesamten Jahr 2022 wurden in der Schweiz 24'511 neue Asylgesuche gestellt. Dies entspricht einer Zunahme von 64,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wie die am Montag erschienene Asylstatistik des Bundes zeigt. Hinzu kommen 74'959 Gesuche für den Schutzstatus S von Menschen aus der Ukraine. Kurz: Rund 100'000 Personen suchten letztes Jahr Zuflucht in der Schweiz.

Doch die Flüchtlingskrise besteht nicht nur aus Zahlen. Sie ist im alltäglichen Leben in der Schweiz sichtbar. In den Städten war letzten Sommer plötzlich verbreitet die ukrainische Sprache zu hören. Und an den Hotspots, beispielsweise an Bahnhöfen, sind Asylbewerber aus diversen Staaten allgegenwärtig.

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Asylbewerber prägen Strassenbild von Steckborn TG

Aber auch auf dem Land ist die Flüchtlingskrise nicht mehr zu übersehen. Exemplarisch dafür steht Steckborn TG. Das malerische Städtchen liegt am Untersee. Dort befindet sich ein Bundesasylzentrum (BAZ), in dem zurzeit 130 Menschen untergebracht sind. Die Asylbewerber prägen das Bild der Thurgauer Gemeinde.

Einer, der die Zustände Tag für Tag miterlebt, ist Daniel Vuilleumier (63). Der Hausarzt betreibt eine Praxis auf der anderen Strassenseite des Asylzentrums. «Für den Notfall ist die Unterkunft in Ordnung. Vielleicht für 48 Stunden. Aber doch nicht für Wochen und Monate.»

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Aus der Situation im Zentrum entstehe Langeweile, so der Arzt. «Mischt man Alkohol dazu, sind Konflikte vorprogrammiert.» Dies belegen die Zahlen der Thurgauer Kantonspolizei: Seit dem 11. Dezember 2022 gab es 14 polizeiliche Interventionen wegen Asylbewerbern aus dem Zentrum von Steckborn, sagt Sprecher Matthias Graf.

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Hausarzt Vuilleumier erinnert sich an einen dieser Fälle: «Es war im Januar. Nach 22 Uhr. Zwei Nordafrikaner aus der Unterkunft machten draussen Krach. Sie waren komplett betrunken. Einer hatte eine Alkoholflasche in der Hand.» Der eine sei besoffen zu Boden gefallen, erzählt Vuilleumier. «Der andere rannte mit dem Kopf voran in die Wand. Die Ambulanz musste ihn anschliessend ins Spital bringen. Auch die Polizei war da.» Kapo-Sprecher Graf erklärt den Kontext: «Diese beiden Männer hatten eine Auseinandersetzung und gingen aufeinander los. Wir nahmen beide fest.»

Als Vuilleumier während des Blick-Besuchs vom Vorfall mit den zwei Betrunkenen erzählt, spaziert eine Familie mit Kinderwagen vorbei. Vater, Mutter, zwei Kinder. Der Vater heisst Rohat Cubuk (24). Er ist türkischer Kurde. «Seit drei Wochen bin ich mit meiner Frau und den Kindern in der Unterkunft.» Seine Tochter ist zwei Jahre alt, der Sohn elf Monate.

Kurde aus Asylunterkunft: «Situation ist unmenschlich»

Cubuk klagt, dass ihm die Luft in der Unterkunft zu schaffen mache. «Sie ist sehr schlecht. Die Unterkunft ist überfüllt. Die Situation ist unmenschlich.» Er sei wütend und verzweifelt. Die Perspektive der Kurden-Familie ist nicht rosig: «Wir können nur warten», sagt Cubuk. «Wir haben zwei Optionen: hierbleiben – oder in unser Heimatland zurückkehren.»

Auch Alain Toussaint Arakaza (35), der mit seiner Familie in der Unterkunft wohnt, beschwert sich. «Es gibt dort keine Fenster», sagt der Mann aus Burundi. Und es mache ihn traurig, dass er nachts von seiner schwangeren Frau und seinem fünfjährigen Sohn getrennt sei. «Mein Sohn fragt mich, wieso wir nicht zusammen sind.» Im Asylzentrum gebe es nichts zu tun. Entweder schlafe man – oder man esse, erzählt der Afrikaner. «Wir machen nichts anderes. Nur essen, schlafen, essen, schlafen. Das macht dich psychisch kaputt.»

SEM-Sprecher Kormann entgegnet, dass sich die Asylsuchenden tagsüber frei bewegen können. «Sie können die Unterkunft zwischen 9 und 17 Uhr so oft und so lange verlassen, wie es ihnen gefällt.» Und es sei ihnen nicht verboten, ausserhalb des BAZ den «Hunger oder Durst zu stillen».

Dazu stehe den Menschen aus der Unterkunft seit neuestem «an fünf Tagen pro Woche tagsüber ein externer, oberirdischer Aufenthaltsraum zur Verfügung», sagt der Sprecher weiter. Und: «Seit letzter Woche können die Asylsuchenden mitwirken, den öffentlichen Raum sauber zu halten, und jeweils am Dienstag eine Turnhalle nutzen.»

Kurz: Das SEM versucht alles, um die Situation der Flüchtlinge in dieser historischen Krise zu verbessern. Ebenso betont der SEM-Sprecher, dass die Steckborner Unterkunft zu keinem Zeitpunkt überfüllt gewesen sei. Die Maximalkapazität liege bei 270 Plätzen – 140 mehr als die aktuelle Belegung.

Steckborner fühlt sich durch die Fremden eingeschränkt

Blick trifft eine Gruppe dieser Asylbewerber des BAZ Steckborn beim Seeschulhaus. Die Afrikaner halten sich im Pavillon auf der Wiese auf. Sie stammen fast ausschliesslich aus Burundi. In Steckborn geniessen sie die Sonne, hören Musik, tanzen und lachen.

Wenig Freude an ihnen hat der Einheimische Hans Schmid (69). Er fühlt sich eingeschränkt. «Meine kleine Tochter kann nicht mehr dort spielen, wo sie will. Sie spielt gerne im Pavillon. Jetzt aber sind wir hier auf dem kleinen Spielplatz, weil Fremde im Pavillon sind.»

Nicht eingeschränkt fühlt sich hingegen Ursula Meili (84), die in der Nähe des BAZ wohnt. Die Asylbewerber stören sie nicht: «Begegne ich ihnen, grüsse ich sie – und sie grüssen zurück. Zu mir sind sie freundlich. Sie gehören für mich zum Strassenbild von Steckborn.» Die Situation der Menschen belaste sie allerdings: «Die Leute, die ich auf der Strasse sehe und die nichts zu tun haben, tun mir leid.»

Auch Hausarzt Vuilleumier hat Mitleid mit den Bewohnern des BAZ Steckborn: «Es ist bedenklich, wenn man für längere Zeit dort unterirdisch hausen muss.»

SEM-Sprecher Kormann entgegnet, dass man unterirdische Unterkünfte nur dann betreibe, wenn oberirdische Alternativen fehlen würden. «Und wir sind bestrebt, die Belegung in unterirdischen Unterkünften so tief wie möglich zu halten. Aber solange nicht ausreichend valable Alternativen zur Verfügung stehen, müssen wir auf diese Notlösung zurückgreifen.» Sein Fazit: «In Anbetracht der grössten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg sind wir und die Kantone auf alle verfügbaren Unterkunftsstrukturen angewiesen.»


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