Der Kanton Aargau kann die Flüchtlingssituation nicht mehr im Normalbetrieb bewältigen – es fehlen schlicht die Unterkünfte. Darum sieht sich der Aargau gezwungen, die Notlage auszurufen.
Das gibt dem Kanton neue Handlungsmöglichkeiten, um Plätze für geflüchtete Personen zu finden. Im Vordergrund steht die Nutzung von kommunalen unterirdischen Schutzbauten wie zum Beispiel Sanitätsstellen. Gemeinden können gemäss der vom Regierungsrat verabschiedeten Notverordnung verpflichtet werden, solche Anlagen für die Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung zu stellen. Erste drei Anlagen werden in Aarau, Birmenstorf und Lenzburg in Betrieb genommen; damit können insgesamt 560 zusätzliche Unterkunftsplätze geschaffen werden.
Im Notfall wird beschlagnahmt
Falls dereinst auch diese Kapazitäten ausgeschöpft sein sollten, könnten im äussersten Notfall Gemeinden sowie Privateigentümer per Beschlagnahmungsverfügung verpflichtet werden, auch anderweitige geeignete Liegenschaften zur Verfügung zu stellen.
Der Regierungsrat werde aber zurückhaltend und unter Wahrung der Verhältnismässigkeit mit dieser Möglichkeit umgehen. Die Notverordnung ermögliche zudem das Aufbieten des Zivilschutzes für die Unterstützung bei der Betreuung in den Unterkünften.
Jeden Tag 20 neue Ukrainer
Hintergrund der Notverordnung ist die aktuelle Situation im Asyl- und Flüchtlingswesen. Letztes Jahr sind schweizweit über 90'000 Menschen in die Schweiz geflüchtet, darunter mehr als 70'000 Ukrainerinnen und Ukrainer. Diese werden nach einer gewissen Zeit an die Kantone überwiesen.
Gemäss den Prognosen des Staatssekretariats für Migration (SEM) ist in den nächsten Wochen weiterhin mit Zuweisungen von insgesamt rund 20 Schutzsuchenden aus der Ukraine und weiteren Personen aus dem Asylbereich zu rechnen – allein für den Aargau und zwar pro Tag.
Weitere Unterkünfte werden angemietet
Der Kanton Aargau hat in den letzten Monaten bereits rund 1000 zusätzliche Plätze in kantonalen Unterkünften geschaffen. Die aktuell 650 Reserveplätze in kommunalen und kantonalen Unterkünften sowie die verfügbaren Plätze bei Gastfamilien im Kanton reichen gemäss Regierungsrat noch bis Ende Februar 2023. Deshalb sind Massnahmen zur raschen Schaffung zusätzlicher Kapazitäten nötig.
Der Kantonale Sozialdienst werde in den nächsten Monaten weitere Unterkünfte anmieten, zum Beispiel Mehrfamilienhäuser, ehemalige Hotels und leerstehende Pflegeheime. Auch die Gemeinden sind seit Beginn des Ukraine-Krieges daran, zur Erfüllung ihrer Aufnahmepflicht weitere Unterkunftsplätze zu schaffen und geeignete Wohnobjekte in Betrieb zu nehmen. Weiterhin ist eine hohe Solidarität der Bevölkerung mit den Geflüchteten aus der Ukraine feststellbar, was die hohe Zahl an Privatunterbringungen zeigt: 43 Prozent der Ukrainer wohnen bei Privaten.
Luzern hat Notstand schon seit November
Aargau ist nicht der einzige Kanton mit diesem Problem. Der Luzerner Regierungsrat hatte schon im November 2022 die Notlage für den gesamten Asyl- und Flüchtlingsbereich des Kantons Luzern erklärt. Der Sozialdirektor Guido Graf schilderte im Blick das Problem: «Wir haben derzeit im Kanton Luzern rund 6400 geflüchtete Personen untergebracht, 65 Prozent mehr als im Vorjahr.» Allerdings habe er nur einen Leerwohnungsbestand von 1 Prozent und eine kantonale Arbeitslosenquote von 1,3 Prozent.
«Das heisst: Ich habe ein zusätzliches Dorf, aber keine Wohnungen und finde keine Betreuer für die Leute. Das hat zur Folge, dass wir notfallmässig Zivilschutzanlagen in Dagmersellen, Willisau und Luzern parat machen.» (sf)