ETH-Forscher Reto Knutti zum warmen Winter
«Der Klimawandel passiert hier und jetzt»

Geht es um Temperaturen, bricht die Schweiz gerade Rekorde am laufenden Band. Der warme Winter? Ein Beispiel für den Klimawandel, meint ETH-Klimaforscher Reto Knutti. Worauf wir uns in Zukunft einstellen müssen.
Publiziert: 03.01.2023 um 19:38 Uhr
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Aktualisiert: 04.01.2023 um 10:07 Uhr
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Schnee ist Mangelware: Eine Skipiste zwischen Riggisalp (1491 Meter über Meer) und Gypsera (1046 Meter über Meer).
Foto: keystone-sda.ch
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Fabian BabicRedaktor News

7,41 Grad. So warm war es durchschnittlich in der Schweiz im Jahr 2022. Das ist Rekord – und zwar deutlich. Um rund 0,5 Grad ist das bisher heisseste Jahr 2018 überboten worden. Kaum hat das neue Jahr begonnen, purzeln die Temperaturrekorde von neuem: Zum ersten Mal seit Messbeginn sind auf der Alpennordseite im Januar über 20 Grad gemessen worden.

Der Blick auf die Messdaten offenbart einen klaren Trend: Es wird immer wärmer. Nach 2010 durchlebte die Schweiz bislang die sieben heissesten Jahre seit Messbeginn. Die Konsequenzen waren im vergangenen Jahr spürbar: Europa verzeichnete wegen der Hitzewelle über 20'000 Todesfälle und finanzielle Schäden von rund 10 Milliarden Franken.

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Tschüss, weisse Weihnachten!

Der Spitzenreiter des Schweizer Sorgenbarometers ist der Beruf von Reto Knutti (49): das Klima. Zuletzt führte dem ETH-Professor für Klimaphysik ein Besuch in seiner Heimat Gstaad BE das Ausmass der Lage beispielhaft vor Augen. Dort, wo er einst Ski fahren lernte, ist derzeit nur noch ein weisser Strich in der Landschaft. «Gstaad ist ein traditioneller Wintersportort auf 1000 Meter Höhe. Jetzt ist es dort grün statt weiss», sagt Knutti zu Blick. «Es ist wirklich traurig.» Eine Sache werde klar: «Der Klimawandel ist kein Hirngespinst, das sich in ferner Zukunft irgendwo auf der Welt ereignet. Er passiert hier und jetzt.»

Weniger Winterzauber ist laut dem Klimaforscher künftig programmiert: «In den nächsten 30 bis 40 Jahren wird sich die Schneefallgrenze um mindestens 400 Meter nach oben verschieben.» Eine Folge davon: «Weisse Weihnachten wird in den tiefen Lagen zur Ausnahme.»

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Durch die milderen Winter wird es laut Knutti auch vermehrt Niederschlag in Form von Regen statt Schnee geben. Hinzu kommen schmelzende Gletscher. Dies führe dazu, dass es mehr Abfluss im Winter und Frühling gibt. Das Ergebnis: Schnee und Gletscher nehmen als natürliche Wasserspeicher ab. «Das hat erhebliche Folgen für die Landwirtschaft, Stromproduktion oder die Kühlung von Atomkraftwerken», sagt Knutti.

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«Weil wir keine Selbstversorger sind, wird uns der Klimawandel wirtschaftlich schwer zu schaffen machen
Reto Knutti, ETH-Klimaforscher
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Mittelfristig müsse sich die Schweiz darauf einstellen, dass der Winter später beginnt und früher aufhört. Allerdings gelte es, über den Tellerrand hinauszuschauen, gibt Klimaforscher Knutti zu bedenken: «Neben der Tatsache, dass das Klima über grössere Räume lebensbedrohlich wird, werden die globalen Entwicklungen die Schweiz viel härter treffen.»

Die Schweiz sei zwar technisch und finanziell grundsätzlich gut gerüstet, um klimabedingte Schäden abzufedern. Allerdings ist der Klimawandel ein globales Phänomen: «Weil wir keine Selbstversorger sind, wird uns der Klimawandel wirtschaftlich schwer zu schaffen machen, wenn es um den Import von Lebensmitteln, Energie oder um den Export unserer Dienstleistungen ins Ausland geht. Geht es der Welt wirtschaftlich schlecht, dann trifft uns das auch.»

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Tschüss, Kartoffeln!

Wegen Treibhausgasen – allen voran CO2 – wärmt sich die Erde immer mehr auf, erklärt Knutti. Diese entstehen durch die Verbrennung von fossilen Brenn- und Treibstoffen, durch Öl, Gas und Kohle.

In den vergangenen rund 100 Jahren hat sich die Welt um rund 1,2 Grad erwärmt. Das von knapp 200 Ländern unterschriebene Pariser Abkommen hat es sich zum Ziel gesetzt, die Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu beschränken, um noch schlimmere Folgen abzuwenden. Laut Knutti bewegt sich die Welt aber mit der aktuellen Gesetzgebung auf eine Erwärmung von etwa 3 Grad bis zum Jahr 2080 zu. «Nimmt man die Absichtserklärungen und vorgeschlagenen Massnahmen der Nationen in die Rechnung mit hinein, käme man auf eine Erwärmung von 2 bis 2,5 Grad.»

Knutti warnt davor, die drohende Erwärmung auf die leichte Schulter zu nehmen. «Sobald eine gewisse Temperatur überschritten ist, treten Schwelleneffekte ein.» Ab dann werde die Situation kritisch. «Kartoffeln veranschaulichen das als Beispiel gut. Wenn es einen Grad wärmer ist, wächst eine Kartoffel besser. Wenn es aber 5 Grad mehr sind, dann gibt es keine Kartoffeln mehr.»

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