Darum gehts
Die Zahl der Vergewaltigungsfälle in der Schweiz ist explosionsartig nach oben geschnellt: von 839 im Jahr 2023 auf 1086 im Jahr 2024 – ein Anstieg von etwa 30 Prozent. Oder: ein Plus von 247 Fällen in absoluten Zahlen. Das zeigt die am Montag veröffentlichte polizeiliche Kriminalstatistik des Bundes.
Zwar gab es auch in den Jahren davor jeweils eine Zunahme der Fälle – doch noch nie war diese so explosiv. Blick fragt bei Nora Markwalder (43), Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Universität St. Gallen, nach: Schwappt eine Welle von Sexualdelikten über die Schweiz? Die Antwort ist paradox: Die Zunahme an Vergewaltigungen ist etwas Positives!
Durchaus positive Entwicklung
«So einen Trend nach oben hat es noch nie gegeben!», sagt Markwalder und führt aus: «Mehr gemeldete Fälle sind nicht per se schlecht, denn der Anstieg muss nicht unbedingt bedeuten, dass es tatsächlich mehr Vergewaltigungen gibt.» Der Grund: Solch «aussergewöhnliche Sprünge» seien stets mit einer Gesetzesrevision zu verbinden. In diesem Fall: Der «Nein heisst Nein»-Effekt. Seit dem 1. Juli 2024 ist das neue Sexualstrafrecht in Kraft. Zentral an der Gesetzesänderung: die Ausdehnung der geltenden Tatbestände der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung.
Früher lag eine Vergewaltigung oder eine sexuelle Nötigung nur dann vor, wenn das Opfer zu sexuellen Handlungen genötigt wurde. Heisst: Wenn der Täter es bedrohte oder Gewalt ausübte. Heute ist das nicht mehr notwendig. Eine Vergewaltigung oder ein sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung liegen neu bereits dann vor, wenn das Opfer dem Täter zwar durch Worte oder Gesten zeigt, dass es mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist, er sich aber über den Willen des Opfers hinwegsetzt.
«Dadurch, dass der Tatbestand ausgeweitet worden ist, gibt es mehr Konstellationen, die unter den Tatbestand fallen», sagt Markwalder. «So war früher die Nötigung zentral. Heute ist es wichtiger, ob die Einwilligung oder eben ein Nein des Sexualpartners vorliegt.»
Sensibilisierung durch Diskussion
Sie könne sich ausserdem vorstellen, dass die Diskussion rund um das schärfere Sexualstrafrecht die Bevölkerung sensibilisiert habe, so Markwalder. «Vor allem im Hinblick auf das Stigma. Dadurch könnten Opfer eher bereit sein, eine Anzeige zu erstatten.»
Auch hatten Behörden zwischen der Verabschiedung der Revision durch das Parlament bis zum Inkrafttreten rund ein Jahr Zeit, Vorbereitungen zu treffen und ihre Mitarbeiter zu schulen.
Minderjährige Opfer und Täter
Ein Blick auf die vergangenen fünf Jahre zeigt für das Jahr 2020 713 gemeldete Vergewaltigungsfälle, für das Jahr 2021 757, für das Jahr 2022 867, für das Jahr 2023 839 und für das Jahr 2024 1086 Fälle. Gemäss polizeilicher Kriminalstatistik befindet sich die Aufklärungsrate der Vergewaltigungsfälle auf einem stabilen Wert von 87,9 Prozent.
Geht es nach dem Geschlecht, sind grossmehrheitlich Frauen die Opfer. In der Statistik werden lediglich 16 Männer als Opfer gelistet. Als Beschuldigte werden Frauen gerade einmal in vier Fällen genannt.
Im Bezug auf das Alter fällt in der Statistik auf, dass in 242 Fällen die Opfer minderjährig waren. Und in 121 Fällen waren die Täter minderjährig.