Ganz ohne Sex geht es dann doch nicht: Jean-Daniel Ruch (61), ein Schweizer Diplomat, der Staatssekretär für Sicherheitspolitik werden wollte, dann aber über sein Beziehungsleben stolperte, trat am Freitag in Kloten ZH wie bei einem Ted-Talk auf.
Ruch steht locker auf der Bühne, das Hemd aufgeknöpft, und redet frei, ohne Manuskript, über Erdogan und Putin. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er den russischen Angriffskrieg verurteilt, fordert aber eine sofortige Waffenruhe sowie Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Am Ende gehts um Sex.
Zum Machtkampf zwischen den USA und Russland fällt ihm das afrikanische Sprichwort ein: «Wenn zwei Elefanten kämpfen, leidet das Gras.» Ruch ergänzt: «Wenn zwei Elefanten Liebe machen, leidet das Gras ebenso.»
Schwurbler und Putin-Fans
Es ist ein denkwürdiger Abend, zu dem vor allem Menschen aus dem Milieu der Schwurbler und Putin-Versteher nach Kloten gekommen sind. Ein deutscher Bundeswehrsoldat, der sich als Impfgegner und Nato-Kritiker vorstellt, ist extra aus Ingolstadt (D) angereist. «Solche Veranstaltungen gibt es in Deutschland nicht mehr», kritisiert der junge Unteroffizier. Auch die umstrittene Politologin und Massnahmen-Kritikerin Ulrike Guérot (60) ist aus der Bundesrepublik gekommen.
Der Saal ist in die russischen Nationalfarben Rot, Blau und Weiss getaucht. Zum Hauptgang servieren die Kellnerinnen Bœuf Stroganoff. Für Moskaus Botschafter in Bern, Sergei Garmonin (71), gibt es Ovationen im Stehen. Freunde der Neutralitäts-Initiative sammeln Unterschriften, ein Händler von Edelmetallen wirbt mit dem Spruch: «Wer Gold finden will, muss im Dreck wühlen.» Von Daniel Stricker (54) bis zu den «Geschwistern des Lichts» trifft man hier Menschen an, die man in den letzten Jahren vor allem auf Corona-Demos sah.
Laut Garmonin ist die geplante Friedenskonferenz in Genf, die die Schweiz mit der Ukraine vorbereitet, zum Scheitern verurteilt. Dass auch China an der Konferenz teilnehmen werde, wie Jean-Daniel Ruch versichert hat, hält der Botschafter für undenkbar. Er erwähnt «unverschämte Forderungen» Kiews, Russland solle kapitulieren und für die Kriegsschäden bezahlen: «Es ist sinnlos, in der Sprache von Ultimaten zu reden. Selenskis Friedensformel ist ein Weg ins Nirgendwo.»
Vehement kritisiert Moskaus Mann in Bern die Politik des Bundesrats, der Sanktionen als mit der Neutralität vereinbar sieht: «Neutralität ist wie eine Schwangerschaft: Du kannst nicht halb schwanger sein oder halb neutral.» Er geisselt die geplante Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes und den vom Nationalrat geforderten Export von Helmen und Schutzwesten nach Kiew: «Welche Zivilisten in der Ukraine laufen mit Helmen und Schutzwesten rum?», fragt er spöttisch.
Auch den Verkauf von 25 Leopard-2-Panzern aus Schweizer Besitz an Berlin kritisiert er: «Das ist ein Ringtausch und somit eine direkte Unterstützung des Kiewer Regimes.» Berichten, wonach nur 16 Prozent der Russen in der Schweiz bei der Präsidentschaftswahl für Putin gestimmt hätten, widerspricht er: Putin habe hier 40 Prozent Zustimmung erhalten, betont Garmonin.
Abenteuerliche Vergleiche
Für die geopolitischen Spannungen macht Putins Emissär einzig und allein das «Nazi-Regime in der Ukraine» und die USA verantwortlich: «Putin wollte zwei Mal der Nato beitreten. Beide Male haben die USA das verhindert.»
Dennoch wirbt Jean-Daniel Ruch unverdrossen um Verständnis für die Politik des Bundesrats. Am Ende gibt der Beinahe-Staatssekretär für Sicherheitspolitik auf der Bühne noch einmal alles: Er erzählt von seiner jurassischen Heimat Moutier, wo gewalttätige Auseinandersetzungen um die Kantonszugehörigkeit später in eine friedliche Lösung mündeten. «Auch in Moutier mussten wir Wahlen wiederholen», sagt Ruch.
Der russische Botschafter bleibt ungerührt: Putin werde sich in der Ukraine-Frage keinen Millimeter bewegen und sei zu keinen Zugeständnissen bereit. Moutier ist für Moskau also keine Lösung.