Sepos-Chef Markus Mäder im Interview
«Russland ist eine reale Bedrohung»

«Putin fährt die Kriegswirtschaft hoch. Das beunruhigt uns sehr», sagt der neue Staatssekretär für Sicherheitspolitik Markus Mäder.
Publiziert: 18.02.2024 um 01:26 Uhr
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Aktualisiert: 18.02.2024 um 07:09 Uhr
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«Nawalnys Tod zeigt, welche Bedrohung von Russland ausgeht», sagt Staatssekretär Markus Mäder.
Foto: keystone-sda.ch
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Herr Mäder, wie wurde Nawalnys Tod an der Münchner Sicherheitskonferenz aufgenommen?
Markus Mäder: Die Bestürzung war gross. Er war ein Verfechter der Demokratie und der Grundrechte in Russland.

Bundespräsidentin Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis wollen im ersten Halbjahr 2024 eine Ukraine-Friedenskonferenz in Genf organisieren. Haben Sie an der Sicherheitskonferenz in München neue Unterstützer gefunden?
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat in Davos die Friedenskonferenz als Wunsch an die Schweiz herangetragen. Wir bereiten das vor im Wissen darum, dass es eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Jetzt müssen wir der Diplomatie Zeit geben.

Sie waren mit der Bundespräsidentin letzte Woche in Estland, also an der Nato-Aussengrenze zu Russland. Die estnische Regierung sagt, Russland könne in fünf Jahren das Baltikum angreifen. Ist das Panikmache?
Kein europäisches Land hat Interesse, Panik zu machen, sondern für seine Sicherheit zu sorgen. Es geht um eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik. Wir teilen die Einschätzung, dass Russland eine reale Bedrohung ist. Es ist entschlossen, den Krieg gegen die Ukraine weiterzuführen, und hält an seinen Maximalzielen fest. Darüber hinaus betreibt Russland eine enorme Aufrüstung. Es gibt Grund für Sorge in Europa.

Hat Sie auf Ihrer Reise ins Baltikum etwas besonders berührt?
In der Regel bin ich nicht emotional, zumindest nicht im beruflichen Bereich. Aber die Bedrohung durch Russland spürt man sehr klar bei den Gesprächen.

Sie sind seit sieben Wochen Staatssekretär. Wofür stehen Sie?
Für Realismus.

Das heisst?
Wir müssen unsere Sicherheitspolitik aufs Reale ausrichten und uns mit der Welt beschäftigen, die existiert – und nicht mit einer Welt, die wir gerne hätten.

Wo braucht es eine Kurskorrektur?
Wir haben unsere Erwartungen an Russland ändern müssen. Nach dem Kalten Krieg dachten viele: Es handelt sich um einen Partner der europäischen Sicherheitspolitik. Das hat sich leider nicht so entwickelt.

Ausser Russland: Von wo aus droht der Schweiz die grösste Gefahr?
Von einer Weltordnung, die nicht mehr regelbasiert ist. Das Recht der Macht darf nicht an die Stelle der Macht des Rechts treten, denn darunter würden alle leiden, vor allem die Schwächeren. Gerade die Schweiz setzt sich für eine regelbasierte Ordnung und für die Einhaltung des Völkerrechts ein.

Sind Sie ein Nato-Turbo?
Wenn ich einen Turbo einschalte, dann für die Schweizer Sicherheitsinteressen. Denen bin ich verpflichtet.

Frau Amherd will die Schweiz näher an die Nato führen.
Es geht um eine Vertiefung der Kooperation. Der institutionelle Rahmen bleibt die Partnerschaft für den Frieden. Die Frage der Nato-Mitgliedschaft stellt sich nicht. Wir wollen aber enger zusammen arbeiten und den Spielraum besser für unsere Interessen nutzen. Wir wollen als Schweiz mit unserer Geschichte und unserem Rechtsrahmen auch einen Beitrag machen für eine sicherere Welt.

Aktuell wird diskutiert: Sollen Schweizer Soldaten an Nato-Übungen teilnehmen, die den Verteidigungsfall proben?
Wir nehmen seit vielen Jahren als Partnerland an Nato-Übungen teil. Bislang haben wir auch als Beobachter an ausgewählten Übungen teilgenommen, die unter Artikel 5 fallen, also von einem Verteidigungsfall ausgehen. Nun stellt sich die Frage: Können und wollen wir an den Übungen auch aktiv teilnehmen? Die Nato erwägt von Fall zu Fall, Länder einzuladen. Wir sind dafür offen, aber es gibt auf keiner Seite einen Automatismus.

Aktuell führt die Nato die grösste Übung seit dem Fall der Berliner Mauer durch. Wäre es nicht im Schweizer Interesse, hier mitzumachen?
Wir haben für diese Übung keine Einladung erhalten. Zudem setzt unser Milizsystem gewisse Schranken: Wir planen Übungen bislang bis zwei Jahre im Voraus, damit unsere Milizsoldaten das mit ihren Arbeitgebern abstimmen können.

Die Schweiz soll Aufgaben übernehmen, die bislang Schweden und Finnland innehatten. Diese werden nun frei, weil die beiden Länder Nato-Mitglieder werden.
Das werden wir individuell mit der Nato prüfen. Vielleicht entsprechen die Posten, die frei werden, nicht dem, was wir beisteuern können. Wir werden uns die Frage stellen: Was wollen wir beisteuern und was bringt uns weiter? Der Wissens- und Erfahrungsrückfluss soll der Entwicklung unserer eigenen Fähigkeiten dienen.

In Ihrer Doktorarbeit zitieren Sie einen römischen Geschichtsschreiber: «Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.» Was bedeutet das für die Schweiz?
Frieden ist die Voraussetzung für Sicherheit und Wohlstand. Wir müssen uns auf Kriege einstellen – obwohl wir hoffen, dass diese niemals eintreten werden. Je besser wir vorbereitet sind, desto grösser ist die abhaltende Wirkung. Deshalb müssen wir unsere Verteidigungsfähigkeit stärken und die Zusammenarbeit mit unseren Partnern vertiefen.

Teile der SVP wollten gar kein Staatssekretariat für Sicherheitspolitik. Warum braucht es Sie?
Die Herausforderungen sind komplexer, unberechenbarer und vernetzter geworden. Das zeigt, dass wir uns neu aufstellen müssen. Das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik sorgt für mehr Fokus, mehr Kohärenz und eine bessere Koordination in der Sicherheitspolitik der Schweiz.

Erst sollte der Diplomat Jean-Daniel Ruch, dann der Diplomat Thomas Greminger Staatssekretär werden. Fühlen Sie sich als dritte Wahl?
Der Bundesrat hat mich am 22. Dezember ernannt. Am 1. Januar habe ich die Stelle angetreten. Ich schaue nach vorne.

Welche Botschaft nehmen Sie aus München mit?
Wir müssen noch enger zusammenarbeiten mit den Akteuren, die unsere Werte teilen und die für eine regelbasierte Weltordnung einstehen.

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