Editorial über den Putschversuch gegen den Kreml-Chef
Das Ende der Putin-Versteher

Unablässig haben uns die Kreml-Propagandisten eingeredet, dass der russische Präsident ein Stabilitätsgarant sei. Diese Erzählung ist jetzt vorbei.
Publiziert: 25.06.2023 um 00:37 Uhr
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Aktualisiert: 25.06.2023 um 15:48 Uhr
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Gespenst des Bürgerkriegs: Gesichtsmasken von Prigoschin (l.) und Putin.
Foto: keystone-sda.ch
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Am Freitag kam es endgültig zum Bruch. Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, jahrelang in treuen Diensten von Präsident Wladimir Putin, sagte das Unsagbare: Der Kreml habe den Anlass für den Überfall auf die Ukraine erfunden, es habe im Vorfeld keine Angriffe von dort auf Russland gegeben. Der offizielle Kriegsgrund, die «Entnazifizierung» des Nachbarlandes, sei ebenso unsinnig wie die militärischen Erfolgsmeldungen der russischen Führung.

Seitdem ist die Lage eskaliert: Die Wagner-Söldner brachten das russische Rostow am Don unter ihre Kontrolle und kämpften gestern in der Metropole Woronesch gegen das Militär; Moskau rief den Anti-Terror-Notstand aus. Schon kursierte das Gespenst des Bürgerkriegs.

Dieser Putschversuch vernichtet eine Legende, die Putin-Versteher, Neutralitätsdogmatiker und «Pazifisten» aller Couleur so gerne verbreiten: die Erzählung, dass der Kreml-Chef die geopolitische Machtbalance festige, ein verlässlicher Bündnispartner sei und die Oligarchen in Schach halte, kurz: dass Wladimir Putin für Stabilität stehe.

Diesen Nimbus hat der Ex-KGB-Mann inzwischen verspielt, und dies auf verblüffend stümperhafte Weise. Denn seit Menschengedenken wissen Herrscher, dass die Hätschelung der eigenen Streitkräfte zu den obersten Geboten der Macht gehört. Die Cäsaren im alten Rom stellten ihre Legionäre mit überdurchschnittlicher Besoldung plus Pension ruhig. Über die Chinesische Mauer wissen Forscher heute, dass sie nicht nur als Grenzschutz diente, sondern auch als gigantisches Beschäftigungsprogramm für die Milizen der Ming-Kaiser. Bourbonen-König Ludwig XIV. liess für die Kriegsversehrten das pompöse Hôtel des Invalides in Paris errichten, um sich die Gunst der Bewaffneten zu sichern.

Putin aber tat das Gegenteil: Er liess Wagner-Kämpfer mit Raketen beschiessen. So behauptet es jedenfalls Prigoschin. Einen weiteren Fehler leistete sich der Präsident, indem er die Paramilitärs lange Zeit unangefochten gewähren liess.

Vor diesem Patzer warnte der berühmte florentinische Philosoph Niccolò Machiavelli bereits vor 500 Jahren in seinem Werk «Der Fürst». Zu besonderem Argwohn rät der Renaissance-Mann gegenüber den «capitani mercenarii»: «Die Führer der Söldnerheere sind entweder hervorragende Männer der Kriegskunst oder sie sind es nicht: wenn sie es sind, so kannst du ihnen nicht trauen, denn sie werden immer wieder nach eigener Macht streben, indem sie dich, ihren Herrn, bezwingen oder andere gegen deine Absicht unterwerfen; ist ein Heerführer aber nicht tüchtig, so richtet er dich auf die übliche Weise zugrunde.» Putins System ist noch nicht zugrunde gerichtet – die Argumente seiner Verteidiger hingegen schon.

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