Esther Huwiler sitzt in ihrer schlichten, aufgeräumten 2,5-Zimmer-Wohnung in Zofingen AG. Der Tisch ist gedeckt. Sie habe schon lange keinen Besuch mehr gehabt, sagt die 71-Jährige und lächelt. Esther Huwiler, ehemalige Buchhalterin, Mutter eines Sohnes, lebt im Monat von 2195 Franken AHV-Rente. Weil das nicht ausreicht, erhält sie 720 Franken Ergänzungsleistungen (EL).
Die Miete liegt bei 1348 Franken, Steuern schlagen mit 200 Franken zu Buche, hinzu kommen Krankenkasse, Nebenkosten, Versicherungen, Abos. Ende Januar blieben ihr 7 Franken übrig. Sie sagt: «Meine AHV-Rente und EL reichen zum Überleben, aber nicht zum Leben.» Ihr fehle das Geld, um an ein Stadtfest zu gehen, für Geschenke an Kinder oder für ein besonderes Essen an Weihnachten. Auch eine Reise ins Tessin – ihr grösster Wunsch – sei zu teuer.
So wie Esther Huwiler geht es vielen älteren Menschen in der Schweiz. Jede fünfte Seniorin, jeder fünfte Senior ist arm oder armutsgefährdet. Ihnen stehen pro Monat weniger als 2500 Franken zur Verfügung. Frauen sind mit 17,7 Prozent fast doppelt so oft von Altersarmut betroffen wie Männer (9,9 Prozent).
Huwiler sagt: «Wenn Freundinnen fragten, ob ich ins Kino komme, essen gehe, hatte ich immer Ausreden parat, weil es mir peinlich war, zu sagen, ich kann das nicht zahlen.» Dadurch habe sie viele soziale Kontakte verloren. Ihr einziger Luxus sei ihr Hund Timmy, ein achtjähriger Mischling aus Sardinien, den sie von der Tötungsstation gerettet habe. «Ohne ihn würde ich wohl nicht mehr leben.»
Dass Frauen im Alter weniger Geld zur Verfügung haben, hat viel mit traditionellen Geschlechterrollen zu tun: Frauen übernehmen auch heute noch den Grossteil der Kindererziehung, sie verdienen weniger als Männer und arbeiten in tieferen Pensen. Das rächt sich später: Viele erhalten keine oder nur eine sehr niedrige Rente aus der zweiten Säule. Männer hingegen erfahren mit der Familiengründungen keinen Nachteil. Gemäss dem Gewerkschaftsbund haben Männer mit Kindern sogar eine höhere Rente als Männer ohne.
«Männer haben ein anderes Polster»
Esther Huwiler: «Als mein Sohn vor bald 50 Jahren auf die Welt kam, blieb ich zu Hause und zog ihn gross. Das war damals so. Mein Ex-Mann und ich trennten uns sieben Jahre später. Das war hart.» Huwiler ging arbeiten, im Service oder putzen. «Nach der Scheidung erhielt ich Alimente. Was eine Pensionskasse und eine dritte Säule sind, habe ich erst viel später erfahren. Ich habe beides nicht. Männer, die immer gearbeitet haben, haben ein anderes finanzielles Polster.»
Auch Helen Fischers Rente reicht nicht zum Leben. Die 66-Jährige aus Bürglen TG erhält monatlich 1640 Franken AHV. Ihre Wohnung kostet 750 Franken, hinzu kommen Nebenkosten von 150 Franken. Im Thurgau lebe sie nur, weil es günstig sei. Am Monatsende bleibe nichts übrig. Ferien oder auswärts essen gehen liegen nicht drin. Zum Coiffeur gehe sie nach Deutschland. «Die Teuerung spüre ich extrem. Seit kurzem habe ich eine Caritas-Karte. Aber der nächste Markt ist in Winterthur.» Und Benzin ist teuer.
Fischer hat keine Kinder und immer gearbeitet. Entweder im Reisebüro oder als Personal Assistant. Weil sie zeitweise im Ausland tätig war, erhält sie jedoch nicht die volle AHV-Rente. Eine dritte Säule hat sie nicht. 2019 ist die Zürcherin nach Madeira ausgewandert und hat sich ihre Pensionskasse von 279'000 Franken auszahlen lassen. Sie wollte sich selbständig machen – doch es klappte nicht.
Letzten Mai kehrte sie zurück – aus gesundheitlichen Gründen. Sie muss bald ihre Hüfte operieren. Fischer hat EL beantragt. Sie erhält jedoch keine, weil sie gemäss den Behörden im Ausland zu viel Geld ausgegeben hat. Dagegen hat sie Rekurs eingelegt.
Weil ihr das Geld nicht reicht, muss sie weiterarbeiten. Kein einfaches Unterfangen in ihrem Alter: «Ein halbes Jahr habe ich gesucht, 25 Bewerbungen geschrieben, nur Absagen erhalten.» Eine Stelle bei der Securitas kam wegen der Hüfte nicht infrage. Nun pflegt und betreut sie für eine private Firma alte Menschen zu Hause. «Das ist streng. Ich verdiene 21 Franken pro Stunde, das Benzin wird nicht gezahlt.» 500 bis 1200 Franken kommen so zusammen. Wie lange sie diese Arbeit noch machen könne, sei unklar.
Auch Gabrielle Lauenstein (80) aus St. Gallen arbeitete ihr Leben lang und sogar übers ordentliche Pensionsalter hinaus. «Ich habe mir mit 62 die AHV vorauszahlen lassen. Ich war selbständig erwerbend, und es war nicht immer sicher, ob ich genügend Einkommen habe. Mit 68 habe ich mich definitiv pensionieren lassen und verbrachte die darauffolgenden zehn Jahre in Mallorca. Meine Familie und viele Freunde wohnen dort, es ist meine zweite Heimat.»
«Ich bekam Existenzängste»
2018 kam sie zurück in die Schweiz. «Meine AHV betrug damals nur 1700 Franken und Mallorca wurde immer teurer. Ich bekam Existenzängste.» Zurück in der Schweiz, beantragte sie EL. «Ich bin sehr dankbar, dass ich diese erhalte.»
Monatlich stehen ihr 3050 Franken zur Verfügung. Die Miete beläuft sich auf 1740 Franken. Hinzu kommen 210 Franken für Telefon und Fernsehen, 45 Franken für Strom sowie 439 Franken für die private Krankenkasse.
Für Lebensmittel gebe sie wenig aus. Einmal im Monat leiste sie sich jedoch einen Coiffeurbesuch für 44 Franken. «Das ist mir wichtig für mein Wohlbefinden.» Nebenbei versuche sie, mit Ernährungsberatung etwas Geld zu verdienen. Aber die Umsätze seien gering. «Mit 80 ist es schwierig, Kunden zu finden, wenn man mehrheitlich zu Hause ist.»
Es war grösste Geschlechtergraben der Geschichte: 64 Prozent der Männer sagten 2022 Ja zur AHV-Reform und damit zu Rentenalter 65 für Frauen – nur 38 Prozent der Frauen legten eine Ja-Stimme ein. Kommt nun im März die Retourkutsche der Frauen?
Unwahrscheinlich, sagt Martina Mousson, Politikwissenschaftlerin am Forschungsinstitut GFS. Zwar befürworteten gemäss der ersten Umfrage mehr Frauen die 13. AHV-Rente als Männer, jedoch sei der Unterschied viel kleiner als bei der AHV-Reform. Zudem sie die Ausgangslage eine andere: Damals waren Frauen allein die Leidtragenden, von der 13. Rente würden jedoch alle profitieren.
«Es ist mehr eine Generationen- als Geschlechterfrage», sagt Mousson. Selbst wenn die Initiative bei den Jungen nicht chancenlos sei, so steige die Zustimmung mit dem Alter deutlich an.
Mit Ausnahme von FDP- und GLP-nahen Wählenden stosse die Initiative in allen Parteien, sozialen Schichten, Altersklassen und Landesteilen auf Zustimmung. «Das Thema bewegt und hat im Kontext der Teuerung sicherlich eine neue Dringlichkeit erfahren», sagt Mousson. «Viele denken wohl auch, nun hat man der Wirtschaft geholfen, Covid-Hilfe in Milliardenhöhe gesprochen, jetzt haben wir auch etwas zu Gute.» Das GFS rechnet mit einer überdurchschnittlichen Stimmbeteiligung.
Die zweite Umfrage, welche das GFS nächste Woche durchführt, soll zeigen, welche Argumente in der Kampagne am besten verfangen. Das schlagkräftigste Argument der Gegner gemäss Mousson: Dass die Initiative den Mittelstand über Lohnprozente oder Mehrwertsteuererhöhung belaste. «In unseren Befragungen zählen sich mehr als 80 Prozent zum Mittelstand», sagt die Politologin.
Die Zustimmung zur Initiative dürfte erfahrungsgemäss zurückgehen. Eine Prognose ist aufgrund der hohen Zustimmung in der Ausgangslage zum aktuellen Zeitpunkt schwierig. Mousson verweist zudem auf die Möglichkeit eines Szenarios Konzernverantwortungsinitative: Die Initiative erhält eine Mehrheit im Volk, scheitert aber am Ständemehr. (lia)
Es war grösste Geschlechtergraben der Geschichte: 64 Prozent der Männer sagten 2022 Ja zur AHV-Reform und damit zu Rentenalter 65 für Frauen – nur 38 Prozent der Frauen legten eine Ja-Stimme ein. Kommt nun im März die Retourkutsche der Frauen?
Unwahrscheinlich, sagt Martina Mousson, Politikwissenschaftlerin am Forschungsinstitut GFS. Zwar befürworteten gemäss der ersten Umfrage mehr Frauen die 13. AHV-Rente als Männer, jedoch sei der Unterschied viel kleiner als bei der AHV-Reform. Zudem sie die Ausgangslage eine andere: Damals waren Frauen allein die Leidtragenden, von der 13. Rente würden jedoch alle profitieren.
«Es ist mehr eine Generationen- als Geschlechterfrage», sagt Mousson. Selbst wenn die Initiative bei den Jungen nicht chancenlos sei, so steige die Zustimmung mit dem Alter deutlich an.
Mit Ausnahme von FDP- und GLP-nahen Wählenden stosse die Initiative in allen Parteien, sozialen Schichten, Altersklassen und Landesteilen auf Zustimmung. «Das Thema bewegt und hat im Kontext der Teuerung sicherlich eine neue Dringlichkeit erfahren», sagt Mousson. «Viele denken wohl auch, nun hat man der Wirtschaft geholfen, Covid-Hilfe in Milliardenhöhe gesprochen, jetzt haben wir auch etwas zu Gute.» Das GFS rechnet mit einer überdurchschnittlichen Stimmbeteiligung.
Die zweite Umfrage, welche das GFS nächste Woche durchführt, soll zeigen, welche Argumente in der Kampagne am besten verfangen. Das schlagkräftigste Argument der Gegner gemäss Mousson: Dass die Initiative den Mittelstand über Lohnprozente oder Mehrwertsteuererhöhung belaste. «In unseren Befragungen zählen sich mehr als 80 Prozent zum Mittelstand», sagt die Politologin.
Die Zustimmung zur Initiative dürfte erfahrungsgemäss zurückgehen. Eine Prognose ist aufgrund der hohen Zustimmung in der Ausgangslage zum aktuellen Zeitpunkt schwierig. Mousson verweist zudem auf die Möglichkeit eines Szenarios Konzernverantwortungsinitative: Die Initiative erhält eine Mehrheit im Volk, scheitert aber am Ständemehr. (lia)
Lauenstein stört, dass ihre AHV-Rente in den letzten 20 Jahren um nur 70 Franken erhöht wurde. «Das ist lächerlich bei einer solchen Teuerung.» Sie wisse, dass es vielen schlechter gehe als ihr. Eigentlich reiche ihr Geld zum Leben. Trotzdem ist sie unglücklich hier in der Schweiz: «Mir fehlen meine spanische Familie und Freunde.» Ihr grosser Traum sei es, irgendwann wieder dort leben zu können.
Sowohl Gabrielle Lauenstein als auch Helen Fischer wollen im März beide mit Ja stimmen. Fischer sagt: «Armut in der Schweiz ist real. Das blenden die Gegner aus. Alle Menschen sollen im Alter würdevoll leben können. Mit einer 13. AHV-Rente hätte ich mehr Luft und könnte vielleicht sogar aufhören zu arbeiten.»
Lauenstein sagt, sie sorge sich um die Rentnerinnen und Rentner, die noch weniger Geld zur Verfügung haben. «Was machen die, wenn die Initiative abgelehnt wird?» 165 Franken mehr im Monat würden ihr helfen, die anstehenden Versicherungen und Jahresbeiträge, die ab März anfallen, ohne Ratenzahlungen zu begleichen.
Auch für Esther Huwiler wäre eine 13. Rente ein willkommener Zustupf. Zuerst war sie sich sicher, mit Ja zu stimmen. Doch mittlerweile hat sie Zweifel: «Warum müssen alle mehr erhalten und nicht einfach die 20 Prozent, die es nötig haben? So wäre die Finanzierung überschaubar, ohne dass den Jungen die Lohnabgaben erhöht werden oder die Alten ein weiteres Jahr arbeiten müssen.»