Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Warum die AHV eine Giesskanne sein muss

Arme Rentner, leere AHV-Kasse und Giesskanne sind die drei wichtigsten Schlagworte bei der Diskussion um die 13. AHV-Rente. Doch sie greifen zu kurz.
Publiziert: 27.01.2024 um 09:41 Uhr
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Werner Vontobel ordnet für die Blick-Leserschaft regelmässig wirtschaftspolitische Themen ein.
Foto: Paul Seewer
Werner Vontobel

Es stimmt: Wird die 13. AHV-Rente angenommen, kostet das jährlich rund 4 Milliarden Franken, die zumindest vorläufig dem AHV-Fonds entnommen werden müssten. Dieser wäre damit in rund zehn Jahren leer.

Richtig ist auch, dass man die Altersarmut besser lindern könnte, wenn man mit den 4 Milliarden gezielt Lücken schliesst, statt sie gleichmässig an alle Rentner zu verteilen.

Richtig ist ferner, dass ich als Stimmbürger nicht darüber mitbestimmen kann, wie diese 4 Milliarden finanziert werden. Das erschwert den Entscheid.

Die SP-Nationalrätin Jacqueline Badran schlägt vor, dass die AHV-Beiträge entsprechend – sprich um ca. 1,2 Lohnprozente – erhöht werden. Im Gegenzug sollen die obligatorischen Lohnprozente für die 2. Säule gekürzt werden. Eine solche Lösung ist zwar kaum mehrheitsfähig, würde aber die zwei Hauptprobleme unserer Wirtschaft zumindest mildern: Wir sparen zu viel und wir verteilen die Einkommen viel zu einseitig.

An beidem ist die 2. Säule mit schuld. In den letzten zehn Jahren hat die Schweiz Leistungsbilanzüberschüsse von insgesamt gut 350 Milliarden Franken geschrieben. All das und noch ein wenig mehr ist per saldo auf die Überschüsse der 2. Säule zurückzuführen.

Dennoch ist unser Nettoguthaben gegenüber dem Ausland in dieser Periode um 45 Milliarden geschrumpft – weil sich unsere Devisenguthaben seit vielen Jahrzehnten tendenziell entwerten. Per saldo sparen wir also für die Katz – und diesen Leerlauf verdanken wir einer stark überdotierten 2. Säule.

Brauchen Oldies als Konsummotor

Volkswirtschaftlich gesehen haben die Vorsorgewerke vor allem einen Zweck: Sie müssen Kaufkraft zu jenem Fünftel der Bevölkerung transferieren, das aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden ist. Das ist nicht nur eine soziale Aufgabe von wegen Altersarmut, sondern es geht auch darum, genügend Nachfrage zu schaffen. Wir brauchen die Oldies als Konsummotor. Davon hängen auch die Jobs der Jungen ab. Das schafft das System insgesamt nicht gut, aber leidlich: Pro Kopf geben die Über-65-Jährigen «nur» etwa 15 Prozent weniger für Konsum aus als die Aktiven.

Doch die 2. Säule trägt dazu praktisch nichts bei. Rund 40 Prozent ihrer Renten gehen an das reichste, aber keine 2 Prozent an das ärmste Fünftel der Rentner. Die 2.-Säule-Renten sind damit fast genauso einseitig verteilt wie die Markteinkommen insgesamt: rund 50 Prozent für das obere, keine 3 Prozent für das untere Fünftel.

Nutzniesser sind die Bodenbesitzer

Dazu kommt noch ein weiterer Umverteilungseffekt: Die Milliarden-Ersparnisse der 2. Säule fliessen zwar per saldo ins Ausland, doch zuvor drehen sich noch ein paar Runden auf dem Schweizer Immobilienmarkt und treiben dort die Preise hoch. Nutzniesser ist die kleine Schicht von Bodenbesitzern. Leidtragende sind per saldo die unteren 60 Prozent. Die 2.Säule trägt damit in zweifacher Weise zur Umverteilung von unten nach oben bei. Sie entlastet die oberen Einkommen steuerlich und verteuert die Mieten der Normalbürger.

Demgegenüber ist die AHV ein Instrument der Rückverteilung von oben nach unten. Diese Wirkung fällt aber vor allem dann stark ins Gewicht, wenn die 13. Rente mit höheren AHV-Beiträgen finanziert wird. Wird dagegen die Mehrwertsteuer weiter erhöht, finanziert sich der Normalbürger seine Rentenerhöhung praktisch selbst.

So gesehen die ist kommende Abstimmung bloss eine halbe Sache. Die entscheidende Schlacht wird nachher geschlagen – und geht vermutlich verloren.

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