Der Traum der Linken ist so nahe wie nie: die zweite Säule der Altersvorsorge auszubremsen und zugleich die AHV auszubauen. Und damit eine stärker auf Umverteilung zielende Altersvorsorge zu schaffen. Am 3. März wird über die Initiative für eine 13. AHV-Rente abgestimmt. Derzeit würden gemäss Prognose der SRG 61 Prozent Ja sagen.
Der Traum der Linken ist zugleich der Albtraum der Versicherungsbranche. Sie lebt vom Pensionskassengeld in der beruflichen Vorsorge. Nicht nur betreiben die grossen Lebensversicherer – allen voran die Swiss Life – direkt die Vorsorgewerke für gut zwei Millionen Schweizerinnen und Schweizer. Darüber hinaus verwalten sie auch Geld autonomer oder teilautonomer Pensionskassen.
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Was gemeinhin als erste und zweite von drei gleichberechtigten Säulen der Altersvorsorge verkauft wird, steht faktisch in direkter Konkurrenz zueinander. Denn klar ist auch: Die Mittel, die in die Rentensysteme fliessen können, sind begrenzt. Und ein Lohnprozent mehr für die AHV ist tendenziell eines weniger für die berufliche Vorsorge. Das zeigt sich ganz besonders im laufenden Jahr.
Die Gewerkschaften klauen der BVG-Reform die Lohnprozente
Denn auch am Pensionskassensystem wird geschraubt. Die voraussichtlich im Herbst zur Abstimmung kommende BVG-Revision bringt nicht nur eine Senkung des Umwandlungssatzes aufgrund der höheren Lebenserwartung und tieferen Renditen, sondern auch höhere Sparbeiträge. Insbesondere sollen die Grundlagen so angepasst werden, dass Tieflöhner und Teilzeit-Angestellte stärker bei Pensionskassen versichert werden. Und so dereinst auf höhere Renten kommen.
Die AHV-Initiative und die BVG-Reform buhlen also um die gleichen Segmente: Leute mit bislang wenig Altersvorsorge. Beide Vorlagen bedeuten tendenziell höhere Lohnprozente. Beide verträgt es politisch wohl nicht. Und so steht die realistische Erwartung im Raum: Wird die AHV-Initiative angenommen, hat es die BVG-Revision schwer. Schwerer noch, als sie es eh schon hat.
Lebensversicherer haben Ernst der Lage nicht erkannt
Für die Versicherungsbranche geht es um die Wurst. Doch diese bleibt erstaunlich ruhig. Zwar hat der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) festgehalten, dass er gegen die AHV-Initiative ist. Doch das scheint bereits alles zu sein. Es gibt kaum Statements von Versicherungsmanagern, kaum Aussagen der Verbandsfunktionäre. Der im Sommer 2023 zum Verbandspräsidenten gewählte Mobiliar-Präsident Stefan Mäder hat sich kaum je geäussert.
Am 3. März kommt es zum Renten-Showdown an der Urne. Dann entscheidet das Stimmvolk gleich über zwei AHV-Initiativen: einerseits über die Volksinitiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente. Andererseits über die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen.
Die Volksinitiative der Gewerkschaften «für ein besseres Leben im Alter» verlangt die Einführung einer 13. AHV-Rente. Bei einem Ja gibt es zu den bisherigen zwölf Monatsrenten quasi einen 13. Monatslohn für Seniorinnen und Senioren hinzu.
Die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen will das Rentenalter erhöhen. Zuerst soll es bis 2033 schrittweise von 65 auf 66 Jahre steigen und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt werden: Pro Monat zusätzlicher Lebenserwartung soll es um 0,8 Monate rauf – auf 67, 68 oder mehr. Automatisch.
Details zu beiden Initiativen findest du hier.
Am 3. März kommt es zum Renten-Showdown an der Urne. Dann entscheidet das Stimmvolk gleich über zwei AHV-Initiativen: einerseits über die Volksinitiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente. Andererseits über die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen.
Die Volksinitiative der Gewerkschaften «für ein besseres Leben im Alter» verlangt die Einführung einer 13. AHV-Rente. Bei einem Ja gibt es zu den bisherigen zwölf Monatsrenten quasi einen 13. Monatslohn für Seniorinnen und Senioren hinzu.
Die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen will das Rentenalter erhöhen. Zuerst soll es bis 2033 schrittweise von 65 auf 66 Jahre steigen und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt werden: Pro Monat zusätzlicher Lebenserwartung soll es um 0,8 Monate rauf – auf 67, 68 oder mehr. Automatisch.
Details zu beiden Initiativen findest du hier.
Beim Verband besteht die – wohl berechtigte Angst – sich die Finger zu verbrennen. Denn der Ruf des SVV ist vorbelastet. Bei früheren Abstimmungen hat er sich deutlich politisch positioniert. Unter dem einstigen Präsidenten Rolf Dörig schwenkte der SVV offen auf eine SVP-Linie ein. Das gab dicke Luft in der Branche, so dass das grösste Mitglied, die Axa, den Verband verliess.
Verbandssprecher Thilo Kleine verneint eine direkte Betroffenheit der Versicherungsbranche durch die AHV-Abstimmung. «Wir sehen allerdings der Absicht, die erste Säule auszubauen, mit Sorge entgegen, da es der Ausgewogenheit des Drei-Säulen-Systems zuwiderläuft. Wir müssen das für die Schweiz bewährte Drei-Säulen-System stabilisieren und nicht einseitig ausbauen.»
Der SVV beteiligt sich nicht am Abstimmungskampf, wie Kleine bestätigt. Man überlasse das dem Dachverband Economiesuisse. Doch auch dort heisst es: Wir sind «nicht im Lead». Der Schweizerische Arbeitgeberverband sei dafür verantwortlich. Die Wirtschaft führt einen Sesseltanz auf. Wer führt nun eigentlich die Nein-Kampagne?
Die Wirtschaftsverbände führen nicht effizient
Der Arbeitgeberverband sagt, die Kampagne werde von zwei Organisationen angeführt: Die SVP habe «den politischen Lead» und werde verkörpert durch SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Der Arbeitgeberverband habe den «strategischen Lead».
Die Unterscheidung bleibt schwammig. Klar ist nur: Aeschi koordiniert die Auftritte der Parteien der Nein-Allianz – die SVP, FDP, Mitte-Partei und Grünliberale – über deren Parteipräsidenten, Gerhard Pfister, Thierry Burkhardt und Jürg Grossen. Doch markant sind diese bisher nicht in Erscheinung getreten.
Welche Gegner der Arbeitgeberverband organisiert, ist unklar. Die 90 Mitgliederverbände seien selber verantwortlich, man mache ihnen keine Vorgaben. Einflussreiche Verbände wie der Baumeisterverband bleiben bis auf die obligaten Nein-Parolen auf ihren Homepages unsichtbar.
Der Präsident des Arbeitgeberverbandes, Severin Moser, ist das Pendant zu SVP-Aeschi als Co-Präsident des Nein-Komitees. Der frühere Versicherungsmanager und Verwaltungsrat von Swiss Life ist erst seit kurzem im Amt. Wirtschaftskreise beklagen, ihm fehle das Format eines Valentin Vogt, des langjährigen Ex-Arbeitgeberpräsidenten, der das Volk von einem Nein zur 13. AHV-Rente überzeugen könnte.
Ein Kampagnenchef ohne eigenes Personal
Pikant: Mosers Arbeitgeberverband, der nach eigenen Angaben Firmen mit zwei Millionen Angestellten vertritt, hat keine eigenen Leute, um eine Kampagne zu führen. Er muss auf die Leute von Economiesuisse zurückgreifen, die in demselben Gebäude wie der Arbeitgeberverband einen Stock höher residieren. De facto führt also Economiesuisse den Abstimmungskampf, ohne dass der Dachverband es sagen darf.
Mehr zur 13. AHV-Rente
Auch der Schweizerische Gewerbeverband ist – bis auf ein Interview der «Handelszeitung» – in der Öffentlichkeit praktisch abwesend. In Wirtschaftskreisen heisst es, das Vakuum an der Spitze nach dem Rücktritt des Verbandsdirektors Hans-Ueli Bigler habe den Verband gelähmt. Was kaum einer bestreitet: Den bisher besten Auftritt im Abstimmungskampf hatte die Galionsfigur des Ja-Lagers: Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard. So diskutiert man in Wirtschaftsforen die bange Frage: Wer kann das Volk noch vor einem Ja zur 13. AHV-Rente retten?
SVP-Kampagnenchef Thomas Aeschi hats am schwierigsten
Auch die politische Anführerschaft ist gespalten: In der SVP haben diverse kantonale Parteien sich für ein Ja zur 13. AHV-Rente ausgesprochen. An der Basis rumort es. Abstimmungsumfragen zeigen eine grosse Zustimmung unter der SVP-Anhängerschaft. Die Romandie und das Tessin sagen Ja. Das Gleiche gilt für die Landwirtschaft, wo viele Bauern – gegen die Position ihres Verbandes – mit der Initiative sympathisieren. Das wissen Aeschi wie auch der Bauernverbandspräsident Markus Ritter. Er sagt, er sei auf Tour, um die Leute von einem Nein zu überzeugen. Der Informationsstand sei immer noch tief. Die Bauern wüssten, dass man ein Fuder nicht überladen dürfe. Bei einem Ja müsste der Bund auf einen Schlag eine Milliarde Franken jährlich zusätzlich für die AHV ausgeben, dürfte es zu Kürzungen bei den Direktzahlungen kommen. «Das ist gefährlich für die Existenz unserer Landwirtschaftsbetriebe», sagt Ritter.
Etwas ist passiert
2016 scheiterte eine fast gleichlautende Volksinitiative zur AHV-Rente mit 59 Prozent Nein-Stimmen an der Urne. Damals stand der Ausbau um zehn Prozent zur Debatte. Die Initiative zur 13. AHV-Rente bedeutet einen Ausbau um 8,3 Prozent – das ist marginal weniger. Und siehe da: Laut der letzten SRF-Umfrage liegt der Anteil der Nein-Stimmenden bei 61 Prozent. Die Zahl der Unentschlossenen ist klein.
Die Politauguren sagen, «etwas» sei passiert, darunter die alt Ständerätin und FDP-Sozialpolitikerin Christine Egerszegi. «Jetzt ist eine andere Zeit», sagt sie. Jeder der einkaufen gehe, sehe, wie fast alles teurer geworden ist. Die Krankenkassen haben massiv zu Buche geschlagen. «Aber ganz viele Pensionskassen haben den Rentnern keinen Teuerungsausgleich gewährt», sagt die Präsidentin der BVG-Kommission. Und so festigt sich der Eindruck: «Jedes Jahr wird die Rente weniger», sagt Egerszegi.
Das spüre das «mittlere Drittel» der Gesellschaft der Pensionierten am meisten. «Das sind nicht die Gewerkschaftsunterstützer», sagt Egerszegi, das ist der Mittelstand, der weder Krankenkassenprämienverbilligungen erhalte noch eine Ergänzungsleistung beantrage. Dort brodle es am meisten.
«Ein toxischer Brei»
Der Schwyzer alt Ständerat Alex Kuprecht fasst die Stimmung in der Bevölkerung zusammen. Es herrsche das Gefühl, dass der Staat Milliarden für alles andere ausgebe, aber bei den Pensionierten spare. Die Bundesgarantie für die CS, die Bundesmilliarden während der Pandemie zur Stützung der Wirtschaft und die Milliarden Wirtschaftshilfe der Schweiz ins Ausland, hätten für grossen Ärger gesorgt. Umgekehrt habe der Bund die AHV-Renten nicht voll an die aufgelaufene Teuerung und steigenden Krankenkassenprämien angepasst. «Das kann zu einem toxischen Brei aufgestauten Ärgers führen, der sich an der Urne entladen könnte», sagt Kuprecht.
Jetzt müsse man die Leute überzeugen, dass die 13. AHV-Rente die komplett falsche Lösung sei, und man sich ins eigene Fleisch schneide. Der Abstimmungskampf sei «noch nicht verloren», glaubt Kuprecht. Die Kampagne habe «erst jetzt so richtig begonnen».
Die Vergangenheit zeigt: Es braucht wenig für eine plötzliche Mehrheit in der Altersvorsorge. Ein Beispiel ist die Vorlage «Altersvorsorge 2020»: Das Parlament und der Bundesrat waren dafür. Doch wegen eines minimalen Ausbaus der AHV – es ging um 70 Franken mehr für Neupensionierte als Ausgleich der Rentenverluste in der beruflichen Vorsorge – wechselte ein Teil der Bürgerlichen ins Nein-Lager. So scheiterte die Vorlage am Volks- und am Ständemehr. Das Killerargument war damals, dass nur Neupensionierte profitierten – und nicht alle. So hatte Bundesbern fast alle bisherigen Pensionierten, die nicht profitieren würden, an der Urne gegen sich.
Die Aussicht, dass die Meinung der Mehrheit ins Nein-Lager noch kippt, ist derzeit düster. Doch die Gegnerschaft gibt nicht auf. Dafür wird der Traum der Linken, die AHV massiv auszubauen, immer wahrscheinlicher. Er wird zum Albtraum der Versicherer, die wohl erst am Abstimmungssonntag realisieren, dass die (vorerst) lauwarme Nein-Kampagne ein strategischer Fehler war.