Während in den Einkaufsstrassen Trubel herrscht, hat sich über viele Altersheime eine beängstigende Stille gelegt. Sobald sich das Virus hier ausbreitet, müssen sich die Bewohner in ihre Zimmer zurückziehen. Erst greift die Einsamkeit um sich, dann der Tod.
Mit den Betagten leidet auch das Personal. Seit Beginn der Pandemie ist die Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger noch härter geworden, als sie es bereits ohne Corona war. Die Arbeitszeiten sind lang und unregelmässig, die körperliche und psychische Belastung hoch. Am Lohn hat sich nichts geändert. Der ist – wie immer – schlecht.
Nun aber hat sich die Situation noch einmal zugespitzt. Meret Oehen (28) vom Frauenstreikkollektiv Bern verfolgt die Entwicklungen im Pflegebereich mit grosser Besorgnis: «Der Druck ist enorm.» Bund und Kantone hätten es verpasst, im Sommer einen angemessenen Plan dafür auszuarbeiten, was auf die Branche zukommt: «Sie müssen endlich Verantwortung übernehmen und die Heime in der Krise unterstützen.» Genauso tönt es bei der Unia. Viele Pflegekräfte stünden im Dauereinsatz; an freien Tagen zu arbeiten, sei mittlerweile die Norm, sagt Samuel Burri, Leiter Pflege bei der Gewerkschaft.
Wie angespannt die Situation ist, erlebt Jan Honegger (28) unmittelbar. Der Pflegefachmann arbeitet in einem Thurgauer Altersheim. Dort hat das Virus bereits zugeschlagen. 15 Bewohnende sind aktuell erkrankt, ebenso etliche Pflegekräfte.
Bewohner sind frustriert und traurig
Die Pflege der Covid-Patienten brauche sehr viel Zeit, sagt Honegger. «Wir messen jeden Tag mehrmals die Sauerstoffsättigung und die Temperatur. Vor jedem Zimmer müssen wir neues Schutzmaterial anziehen und uns oft zu zweit um die Bewohnenden kümmern, weil es ihnen so schlecht geht.» Auch der Tod komme mit Corona schneller und unerwarteter als sonst – und treffe viele Bewohner gleichzeitig. «Das ist alles andere als gewöhnlich. Wir können uns nicht darauf einstellen.» Hinzu kommt die psychische Belastung. Viele Bewohner seien frustriert und traurig, weil sie ihre Liebsten ausgerechnet jetzt nicht sehen dürfen. Honegger: «Es tut uns weh, sie so zu sehen.» Diese Situation sei schwer zu ertragen: «Viele von uns sind am Limit.»
Das Schlimmste, so Jan Honegger, sei der Personalmangel. Der sei nicht erst seit Corona ein Problem, zeige sich nun aber noch deutlicher. Auch, weil sich immer wieder Pflegende mit dem Virus infizieren. «Mittlerweile fallen fast täglich Leute aus.»
Auch Honegger selbst hatte sich angesteckt. «Zum Glück durfte ich mich zu Hause auskurieren.» Das sei nicht selbstverständlich. In vielen Heimen würden auch positiv getestete Pflegekräfte aufgeboten, solange sie keine Symptome zeigen. Das Bundesamt für Gesundheit erlaube dieses Vorgehen bei akutem Personalmangel sogar: «Das ist doch nicht in Ordnung», sagt Honegger. «Wie sollen wir das mit unserem Gewissen vereinbaren?»
Hilfe von Militär und Zivildienst?
Die Zustände in vielen Heimen seien katastrophal, es komme sogar vor, dass Menschen alleine sterben müssen. «Auch bei uns wird die Situation dramatisch, wenn sich das Virus weiter ausbreitet», warnt der Pflegefachmann. Schon jetzt bleibe oft nicht genug Zeit, sich auf die Bewohnenden einzulassen. «Wir brauchen dringend Unterstützung von Militär und Zivildienst.»
Auch der Verband der Pflegefachfrauen und -männer schlägt Alarm. Das Personal könne nicht mehr lange durchhalten, sagte Geschäftsführerin Yvonne Ribi (44) diese Woche zu BLICK. «Viele Pflegende sind schon jetzt am Ende ihrer Kräfte angelangt.»
Kommentar zum Thema
Umso schlimmer sei es, dass viele den Ernst der Lage immer noch nicht erkennen, sagt Jan Honegger. «Zu sagen, die Lage ist nicht dramatisch, ist zynisch. Personen, die das denken, sollten sich mal anschauen kommen, wie es aussieht, wenn sich Corona in einem Pflegeheim ausbreitet. Es geht hier um Leben oder Tod, das ist eine brutale Realität!»
Viele der Betagten verzichteten in dieser Lage dennoch auf eine Einweisung ins Spital. Nicht auszudenken, wenn auch sie ein Krankenhausbett in Anspruch nehmen würden. Denn auch die Spitäler sind überlastet. «Die Reserven sind aufgebraucht», sagt der Chefarzt der Infektiologie am Kantonsspital Aarau, Christoph Fux. «Jetzt rächt sich schmerzhaft, dass bereits in guten Zeiten nicht mehr genügend Pflegepersonal gefunden werden konnte», sagt Fux. Und warnt: Geht es so weiter wie bisher, brennt das Pflegepersonal aus – mit fatalen Folgen.
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