Pflegenotstand in der Schweiz
Es betrifft meine Oma, mich, jeden von uns

Keine Branche steht in der Pandemie so sehr im Fokus wie die Pflege. Die aber ist nicht einfach nur eine Berufsgruppe. Sie kümmert sich um Menschen.
Publiziert: 12.12.2020 um 22:35 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2020 um 21:59 Uhr
Alexandra Fitz, stv. Leiterin SonntagsBlick Magazin
Alexandra Fitz

Manchmal ist es schwierig, den Ernst der Lage zu erkennen. Vor allem, wenn man nur Zahlen oder eine Initiative vor sich hat. Manchmal ist es auch einfach schwierig, sich in etwas hineinzudenken – erst recht, sich dafür einzusetzen –, wenn man nicht persönlich betroffen ist. Der Mensch muss das meiste selbst erfahren, am eigenen Leib, damit er dessen Wichtigkeit empfindet. Und handelt.

Vor drei Monaten sass ich neben meiner Grossmutter. Sie lag. Die 91-Jährige sah in diesem Krankenhausbett noch zerbrechlicher aus als sonst. Am Tag davor hatte meine Oma eine Lungenembolie erlitten. In meinen Armen. Die Rettungssanitäter kümmerten sich hervorragend um sie. Auch die Ärztin gab uns irgendwann Bescheid, was ihr fehlte. Aber was mich und meine Familie wirklich begeisterte, war das Pflegepersonal: Als ich um 23 Uhr anrief, erzählte man mir detailliert, wie es ihr geht.

Und als wir meine Grossmutter am nächsten Tag besuchten, waren wir mehr als überrascht. Wir waren gerührt. Die Pfleger hatten eine Stellwand auf Rollen vor ihr Bett geschoben. Daran hingen Zettel mit kleinen Texte in grosser Schrift. Sie halfen meiner Oma, sich zu orientieren. Sie ist dement. So musste sie nicht immer fragen: «Wo bin ich?», «Was ist passiert?», «Wann kommt meine Familie?». Eine Pflegerin sagte mir, ich könne ihr für die nächsten Tage neue Sätze geben, sie würden sie ausdrucken und wieder aufhängen.

Wenn zu wenige Menschen im Gesundheitswesen arbeiten, wenn sie überlastet sind und unzufrieden, betrifft das meine Grossmutter, mich und Sie alle. Der Pflegenotstand in der Schweiz betrifft uns. Nicht nur die rund 214'000 Personen im Pflegebereich.

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