BAG will höhere Durchimpfungsrate erreichen
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Impfempfehlung ab 12 Jahren:BAG will höhere Durchimpfungsrate erreichen

Chefarzt Philipp Schütz über die 4. Welle und das Problem mit Ungeimpften
«Die Angestellten sind müde, erschöpft und frustriert»

Warum landen wieder so viele Menschen wegen Corona im Spital? Was hat sich bei der Behandlung verändert? Und wie sind die Spitäler für eine weitere Welle gewappnet? Der Aarauer Chefarzt Philipp Schütz gibt gegenüber Blick die wichtigsten Antworten.
Publiziert: 25.08.2021 um 12:04 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2021 um 12:14 Uhr
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Philipp Schütz ist Chefarzt für Innere Medizin und Notfallmedizin am Kantonsspital Aarau.
Foto: Kantonsspital Aarau
Andrea Cattani

Es sind deutliche Worte, die am Montag an der Corona-Pressekonferenz in Bern fallen. Als «ungünstig und besorgniserregend» beurteilte Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Lage. Eine weitere Ansteckungswelle droht, auf die Schweiz zuzurollen.

Die Entwicklung mit rasch steigenden Infektions- und Hospitalisationszahlen bedeuten auch für die Angestellten im Gesundheitsbereich nichts Gutes. Einer von ihnen ist Philipp Schütz. Der 44-Jährige ist Chefarzt für Innere Medizin und Notfallmedizin am Kantonsspital Aarau. Blick hat mit Schütz über die Situation an der Corona-Front gesprochen.

Am Montag meldete das BAG 143 Spitaleinweisungen übers Wochenende, am Dienstag kamen 97 weitere dazu. Herr Schütz, hat die Corona-Impfung ihre Wirkung verfehlt?
Philipp
Schütz: Bei all jenen, die sich bereits haben impfen lassen, erfüllt der Wirkstoff absolut seinen Zweck und zeigt einen hohen Schutz. Das Problem sind die ungeimpften Risikopersonen, die nun schwer krank werden und das Gesundheitssystem wieder zu überbelasten drohen.

Noch Mitte Juni sagten Sie in einem Interview mit SRF, dass sich zwar viele Junge anstecken, diese aber nicht im Spital landen würden. Wer ist denn von diesen zunehmenden Hospitalisierungen betroffen?
Bei den Einweisungen sieht man eindeutig, dass es fast ausschliesslich ungeimpfte Risikopersonen sind. Beim Alter hat sich allerdings etwas verschoben: Früher waren es vor allem die alten Bevölkerungsschichten, die betroffen waren. Diese vulnerablen Schichten sind mittlerweile gut geschützt – vor allem durch die Impfung. Nun liegt das Durchschnittsalter bei den Hospitalisierten zwischen 50 und 70 Jahren.

Warum landeten diese Menschen in der zweiten und dritten Corona-Welle nicht im Spital und nun schon?
Die Delta-Variante ist ungleich ansteckender, wodurch auch die Zahl der schweren Verläufe zunimmt. Und nach monatelanger Pandemie haben sich diese Leute nun vermehrt Gefahren ausgesetzt, wurden unvorsichtiger. Wie jetzt zum Beispiel in den Sommerferien. Ob die Delta-Variante auch generell schwerere Verläufe verursacht, ist heute noch nicht klar.

Die Zahl der Todesfälle steigt glücklicherweise bisher noch nicht markant an.
Es dauert in der Regel zwischen zwei bis acht Wochen, bis nach einer Infektion die schweren Folgen auftreten. Leider muss man davon ausgehen, dass die Zahl der Todesopfer wieder steigen wird. Positiv ist, dass man nun schon Fortschritte bei der Behandlung erzielen konnte. Wir geben nun allen Patienten mit schwerem Verlauf hoch dosiertes Kortison und eine neue Antikörper-Therapie, um die entgleiste Entzündung, welche die Lungenschäden verursacht, zu bremsen. Beide Therapien können die Sterblichkeit signifikant reduzieren – aber nur bei einem Teil der Patienten.

Der Frust bei den Fachkräften in den Spitälern nimmt zu. Wären alle geimpft, wären solche Behandlungen nicht mehr nötig.
Positiv betrachtet: Ohne Impfung wären wir mit der Delta-Variante an einem viel schlimmeren Punkt. Klar ist aber auch: Es ist bisher nur ein Teilerfolg. Für einen Vollerfolg muss aber nochmals ein Ruck durch die Bevölkerung gehen, so dass die Impfquote bei der mittleren Bevölkerungsschicht zulegt. Denn so, wie es jetzt läuft, steuern wir auf eine Überlastung der Spitäler zu.

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Wie sind denn die Spitäler auf den erneuten Infektionsanstieg vorbereitet?
Wenn man so will, haben die Spitäler nun bereits Routine im Umgang mit dem Virus. Es gibt Notfallpläne, die zum Einsatz kommen können. Das Problem ist aber der Faktor Mensch, also konkret die Pflege am Bett. Dort sind wir heute schlechter aufgestellt, als noch am Anfang der Pandemie. Die Angestellten sind müde, erschöpft und frustriert, weil viele schwere Verläufe und Todesfälle vermeidbar wären. Statt breiter aufgestellt zu sein, mussten die Spitäler in den letzten Monaten eine Abwanderung von Pflegefachkräften hinnehmen. Und die Neurekrutierung von gut ausgebildetem Personal ist sehr schwierig.

Immerhin: Über 50 Prozent der Bevölkerung haben sich schon vollständig impfen lassen. Was sagen Sie diesen Menschen mit Blick auf die aktuelle Situation?
Diese Leute sind gut geschützt vor einer Erkrankung und vor allem vor einem schweren Verlauf. Das ist das Wichtigste. Es ist aber verständlich, dass es für diesen Bevölkerungsteil auch belastend ist. Denn die Schutzmassnahmen sind heute vor allem noch nötig wegen der weiterhin hohen Zahl an ungeimpften Risikopatienten mittleren Alters, die nun krank werden. Ich glaube aber, dass sich viele dieser Unentschlossenen noch zum Impfen bewegen lassen. Darauf muss der Fokus liegen. Das würde dann wiederum der ganzen Gesellschaft zugutekommen.

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