Der blutige Rocker-Krieg im Mai 2019 in Belp BE beschäftigt das Regionalgericht Bern-Mittelland nun schon seit vier Tagen. Während sich der Gerichtspräsident bei den zahlreichen Einvernahmen bis anhin fast nur mit der Floskel «keine Aussage» zufrieden geben musste, brach am Donnerstagnachmittag endlich ein Beschuldigter sein Schweigen und sprach über die dramatischen Szenen!
Der Töff-Rocker wird – wie alle anderen 21 Beschuldigten, die damals bei dem heftigen Revierkampf zwischen den rivalisierenden Motorrad-Gangs beteiligt waren — des Raufhandels beschuldigt. Gleichzeitig ist er aber auch als Privatkläger im Verfahren involviert, da er erheblich verletzt wurde.
Bei den Broncos rausgeschmissen
Schon zu Beginn der Einvernahme lässt er verlauten, dass er keiner Rocker-Gang mehr angehöre. «Am 13. November 2019 um halb 11 Uhr nachts hat mich die Bruderschaft mit nichts ausser 170 Franken auf die Strasse gestellt, mein Eigentum haben sie mir genommen», führt er aus. Man habe ihn bei den Broncos, wo er einst im Chapter Emmental sogar noch Vorstandsmitglied gewesen sei, quasi «ausrangiert». Seit dem Rausschmiss werde er geächtet, die Bezeichnung dafür laute in der Szene «bad standing».
Der LKW-Fahrer sei damals per SMS über das Vorhaben in Belp informiert worden. «Die Bandidos wurden gesichtet und darauf hat man reagiert», erklärt er. Er bezeichnet den Club als «Fremdkörper» in der Schweiz. Während die Broncos mit den Hells Angels seit vielen Jahren gemeinsame Sache machen, wollte man die Bandidos hierzulande nicht dulden – das habe man ihnen im Mai 2019 damals eigentlich erklären gehen wollen, nachdem man von den Plänen der Clublokal-Gründung im Berner Vorort erfahren habe.
«Es war nie meine Absicht, einen Krieg zu veranstalten»
«Ich bin von der alten Garde und wie man das so macht, habe ich gedacht, dass wir einfach das Gespräch suchen», führt der verschuldete Österreicher aus. Mit einer Schlägerei hätte er nicht gerechnet, höchstens damit, dass «man einander bisschen am Kragen packt». Daher sei er auch «naiv» lediglich mit «seinen blanken Fäusten» und bis auf ein Taschenmesser unbewaffnet angereist: «Es war nie meine Absicht, einen Krieg zu veranstalten. Wir wollten mit Mannschaftsstärke unsere Präsenz zeigen, das war mein Gedanke.» Von möglichen Holzstücken, die laut dem Richter von den Broncos und den Hells Angels als Waffen mitgebracht wurden, will er nichts wissen.
Vor Ort sei dann «alles sehr schnell gegangen», erzählt der Angeklagte mit österreichischem Dialekt weiter. Sie seien mit dem Auto hingefahren, die Bandidos hätten dort bereits bewaffnet auf ihre Feinde gewartet – hätten sich hinter Europaletten, einem parkierten Pick-Up und Kisten verbarrikadiert. «Sie hatten Gegenstände wie Schraubenschlüssel, Kabel und Metallstangen in der Hand», erinnert er sich.
Ein Messerstich durch das «Bronco»-Logo
Kaum sei er aus dem Auto ausgestiegen, habe ein Bandido ihn auch schon attackiert: «Zuerst hat einer mit einer Stange auf mich eingeschlagen. Das hat ordentlich gehämmert.» Etwa zehn oder fünfzehn Schläge habe er kassiert und sei schliesslich auf die Knie und zu Boden gesackt. «Dann kam der Zweite und hat mir das Messer in den Rücken gesteckt, ich habe mich gedreht und dann hat er mich noch am Arm erwischt», führt der Österreicher, der bei einer Schweizer Firma angestellt ist, aus. Das Messer sei direkt durch das «Bronco»-Logo auf seinem Rücken gestossen worden. Ein dritter Angreifer habe ihn dann noch mit Füssen getreten. Und auf einmal hätten die drei Rivalen einfach von ihm abgelassen.
«Es wundert mich im Nachhinein, vielleicht sind sie müde geworden», meint er schelmisch grinsend. «Zu dem Zeitpunkt hätten sie mich locker fertigmachen können, warum sie es nicht gemacht haben, keine Ahnung.» Danach sei der damalige Bronco als Letzter vom Platz gelaufen, habe noch das «Siegesgejohle» der Bandidos gehört und sei «ziemlich lädiert» von einem anderen Rocker in ein vermeintliches Spital gefahren worden, welches sich dann aber als Altersheim herausgestellt habe.
«Aus reinem Zufall» schwebte er nicht in akuter Lebensgefahr
Dort sei man über das Auftauchen der Rocker ziemlich erschrocken, habe dann aber den Notarzt gerufen und versucht, die Blutung zu stoppen: «Irgendwann wurde es dunkel und der Notarzt musste mir Adrenalin spritzen, dann gingen die Lichter wieder an.» Bis heute leide er unter Konzentrationsschwierigkeiten, erzählt er. Ansonsten seien die Wunden gut verheilt. In der Anklageschrift steht dazu: «Er befand sich aufgrund seiner Verletzung aus reinem Zufall nicht in akuter Lebensgefahr.»
Wer dem redseligen Ex-Rocker das Messer durch die Bronco-Kutte gestochen hat, weiss dieser selbst nicht – er habe ihn nicht gesehen. Der Richter will wissen, ob es denn der Bandido sein könnte, dem die Staatsanwaltschaft die Tat in ihrer Anklageschrift zuschreibt. «Das weiss ich nicht», meint er. «Zugetraut hätte ich ihm es nicht, ich habe ihn immer ein bisschen als Weichei gesehen.» Jedoch gebe es eine persönliche Vorgeschichte mit eben diesem Bandido und er habe ihn beim Weglaufen sogar noch rufen hören, dass er «noch nicht fertig» sei mit ihm.
«Zum Denken ist man als Member eigentlich nicht da»
Warum er denn überhaupt mit nach Belp gefahren sei, will der Gerichtspräsident wissen. «Ehrensache», meint der Chauffeur, der bei einer Schweizer Firma angestellt ist. «Als Mitglied muss man nicht viel machen, man muss einfach dabei sein – das ist wichtig. Aber zum Denken ist man als Member eigentlich nicht da.» Im Nachhinein müsse er sagen: «Die Vernunft war rar zum Zeitpunkt.» Vernünftiger wäre es gewesen, beim Anblick der bewaffneten Bandidos einfach wieder wegzufahren, meint er.
Auch für Freitag sind noch weitere Einvernahmen von den insgesamt 22 Beschuldigten geplant, ab Dienstag sollen die Plädoyers stattfinden. Das Urteil wird voraussichtlich für den 30. Juni erwartet.