Plötzlich knallte es am Montagmorgen kurz nach 8.30 Uhr in Bern: Steine flogen durch die Luft, und lautes Gebrüll drang durch die Gassen vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland. Die Polizei musste Gummischrot und Tränengas einsetzen, um die über 100 Töff-Rocker vor Ort in Schach zu halten. Auch das Gebiet um das Amtshaus wurde weiträumig abgesperrt, die Bushaltestelle lahmgelegt.
Der riesige Aufmarsch an vermummten Bikern war dem Prozessauftakt zum Belper Rocker-Krieg geschuldet. 22 Männer müssen sich seit Montag vor der Justiz verantworten, weil sie an einer blutigen Schlägerei mit Schusswechsel am 11. Mai 2019 beteiligt gewesen sein sollen. Gemäss Anklage soll es sich dabei um einen «Einschüchterungsversuch» der Hells Angels und der Broncos bei dem rivalisierenden Motorradklub Bandidos gehandelt haben, der aus dem Ruder gelaufen sei.
21 Rocker auf freiem Fuss, einer im Knast
Die Bandidos hätten sich damals in der Schweiz niederlassen und in Belp BE ein Klublokal eröffnen wollen, dies hätte jedoch den ansässigen Töff-Rockern nicht gepasst. Nachdem die Bandidos am Tag der Tat bereits in der Vereinskleidung an einer Motorradausstellung aufgekreuzt waren, hätten die Höllenengel von der am Abend geplanten Geburtstagsfete im Berner Vorort Wind gekriegt und ihre Leute zusammengetrommelt. Das Ergebnis: Fünf Biker wurden erheblich verletzt, einer lebensbedrohlich.
Biker aller Gruppierungen müssen sich nun wegen Raufhandels und teilweise Körperverletzung vor der Justiz verantworten, zwei Bandidos wird zudem versuchte vorsätzliche Tötung vorgeworfen – ein 37-jähriger Familienvater sitzt deswegen bereits im vorzeitigen Strafvollzug, die restlichen 21 Angeklagten sind auf freiem Fuss.
«Jeden Tag in der Kiste verdient»
Der erste Prozesstag begann mit der Einvernahme des Hauptbeschuldigten. Der grosse bärtige Mann im Karohemd wurde in Handschellen von der Polizei in den dicht besetzten Saal geführt, in breitem Berner Dialekt gab er Auskunft. Er erzählte, dass er eine Lehre als Strassenbauer und eine als Maurer angefangen und beide abgebrochen habe.
Hinter Gittern zu sitzen, sei für ihn nichts Neues: Über neun Jahre habe er unter anderem wegen Raub schon im Knast gesessen. Warum er denn immer wieder straffällig geworden sei, will der Richter wissen. «Ich war jung und dumm», und er habe «jeden Tag in der Kiste verdient», erklärt der Rocker. Dazu, dass er einen Hells Angel vor drei Jahren mit einem Durchschuss in der Bauchregion beinahe getötet haben soll, schwieg er – wie erwartet.
Und wieder eskalierte die Situation
Danach wurde eine Zeugin einvernommen. Die junge Frau war zum Zeitpunkt des Eklats in Belp mit einem Bandido liiert. Viel konnte sie nicht beitragen, sie habe «den Tag verdrängt».
Mittagspause. Der randvolle Gerichtssaal leerte sich, die Situation draussen spitzte sich erneut zu. Die extra aus allen Regionen und aus dem Ausland angereisten Unterstützer machten ihrem Ärger Luft: Wieder flogen Steine, wieder wurde laut geschrien. Erneut setzten die Einsatzkräfte Gummischrot und dann auch Wasserwerfer ein. Kurze Zeit später waren die Bandidos wie vom Erdboden verschluckt, während die Hells Angels ihre «Brüder» auch am Nachmittag weiter mit ihrer zahlreichen Präsenz unterstützten.
Am Nachmittag wurde der zweite Hauptangeklagte befragt, ein Thuner mit spanischem Pass. Er soll einen verletzt am Boden liegenden Rivalen mit dem Messer in den Rücken gestochen haben.
Prozess dauert noch tagelang an
Der vorbestrafte Familienvater und Aussendienstmitarbeiter sei unterdessen nicht mehr bei den Bandidos, sagte er bei der Einvernahme. Beim Betreten des Gerichtsgebäudes zeigte er den versammelten Hells Angels jedoch den Mittelfinger. Die Tatvorwürfe stritt er ab.
Der Prozess dauert noch mindestens zwei Wochen, für Dienstag sind weitere Befragungen geplant. Das Urteil wird Ende Juni erwartet, es gilt die Unschuldsvermutung.
Verletzte hat es laut der Mediensprecherin der Kantonspolizei bei den Ausschreitungen vor dem Gericht bislang keine gegeben – auch für die kommenden Tage stehe die Polizei bereit.