Wilde Prügelei mit Stangen, Holzlatten und mindestens einer Schusswaffe: Ein Revierkampf unter Motorradklubs (MCs) artete im Mai 2019 in Belp BE völlig aus. Ein «unangekündigter Einschüchterungsversuch» mehrerer Broncos und Hells Angels im neuem Klublokal der verfeindeten Bandidos führte zu zahlreichen Verletzten – auf einen Hells Angel wurde zudem geschossen.
Nun müssen sich 22 Rocker ab heute vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verantworten. Es wird ein Monster-Prozess. Die Staatsanwaltschaft wird jedem einzelnen nachweisen müssen, am Raufhandel beteiligt gewesen zu sein. Zwei Beschuldigte sind zudem der versuchten vorsätzlichen Tötung angeklagt. Der Prozess ist auf einen ganzen Monat angesetzt.
Eine Woche Befragung, eine Woche Parteivorträge
Im Berner Amtshaus wurde hierfür extra der grösste Raum, der Assisensaal, reserviert. Dieser wird nur bei besonders grossen Verhandlungen benutzt, etwa beim Prozess gegen die «Effi 29»-Hausbesetzer im Mai 2021. Kein Wunder, findet der Biker-Prozess nun auch im Assisensaal statt: Mit all den Beschuldigten, Anwälten, Richtern und Gästen nimmt die Verhandlung ein riesiges Ausmass an.
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Geplant ist eine ganze Woche Befragung der Angeklagten. Dann folgt eine Woche mit allen Parteivorträgen, also den Plädoyers der Verteidigung, Anklage und Anwälten der Privatkläger. Schliesslich beraten sich die Richter für eineinhalb Wochen. Das Urteil soll voraussichtlich am 30. Juni fallen. Für die Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.
Keine Aussagen von den Bikern zu erwarten
Die erste Woche, in denen die Biker von den Richtern befragt werden, dürfte für die Zuschauer wenig interessant werden. Denn: «Erfahrungsgemäss verweigern Mitglieder solcher Gruppierungen die Aussage», sagt der Aargauer Rechtsanwalt André Kuhn (47).
Es könnte sogar zu Freisprüchen aus Mangel an Beweisen kommen: «Der Richter muss dem Beschuldigten im Verfahren zweifelsfrei seine Schuld beweisen können, und das ist meistens die Schwierigkeit. Die reine Anwesenheit bei einer Straftat genügt nicht, und oftmals können bei solchen Ereignissen die einzelnen Personen nicht eindeutig identifiziert werden», sagt Kuhn. Denn die Biker seien ähnlich gekleidet und selbst auf Fotos oder Videos je nach Qualität der Aufnahmen nicht immer zweifelsfrei zu identifizieren.
Das passierte am fraglichen Tag
Das Gericht wird klären müssen, was am 11. Mai 2019 genau passiert ist und wer welche Rolle spielte. Bekannt ist, dass vor dem Überfall Mitglieder des Bandidos MC zusammen mit weiteren Bikern nach Sugiez FR am Murtensee fuhren. An der Frühjahrsausstellung eines lokalen Töffhändlers trafen sie auf Broncos. Augenzeugen sprachen gegenüber SonntagsBlick von einer entspannten Stimmung, man gab sich die Hand.
Jemand muss aber die Hells Angels über das Auftauchen der Bandidos informiert haben – weltweit sind Hells und Bandidos bis aufs Blut verfeindet. Als die Bandidos nach der Messe nach Belp in ihr neues Klubhaus fuhren, um mit befreundeten Bandidos aus Deutschland, Österreich und Griechenland einen Geburtstag zu feiern, versammelten sich Broncos und Hells auf einem Parkplatz in der Nähe.
Hells Angel in den Bauch getroffen
Die rund 20 Bandidos und Supporter im Lokal an der Steinbachstrasse in Belp bekamen Wind davon und bereiteten sich auf Ärger vor. Sie verbarrikadierten ihre Zufahrt mit Fahrzeugen und bewaffneten sich. Kurz vor 18 Uhr tauchten die Angreifer auf. Es kam zu einer wilden, unkoordinierten Schlägerei mit Holzlatten, Eisenstangen und Messern auf dem Vorplatz und der Strasse.
Einer der Bandidos ballerte zuerst in die Luft und eröffnete dann mit seiner 9mm-Pistole das Feuer auf ein einfahrendes Auto, in dem vier Höllenengel sassen – und traf dabei einen.
Traurige Bilanz: Der Opfer erlitt einen Bauchdurchschuss und wurde schwer verletzt ins Spital gebracht, ein zweiter Höllenengel wurde mit einem Messer schwer verletzt und mehrere Biker erlitten Kopfverletzungen, die teilweise genäht werden mussten. Die Polizei verhaftete nach dem Vorfall 34 Personen, die Staatsanwaltschaft erhob gegen 22 von ihnen schliesslich Anklage. Der mutmassliche Schütze, ein Emmentaler (37), sitzt in Regensdorf ZH in der Strafanstalt Pöschwies im vorzeitigen Strafvollzug.