Es sollte laut der Berner Staatsanwaltschaft bloss ein «unangekündigter Einschüchterungsversuch» werden, doch dieser endete im Mai 2019 in Belp BE schliesslich in einem blutigen Rocker-Krieg: Am kommenden Montag müssen nun 22 Mitglieder verschiedener Motorrad-Clubs vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland antraben – zwei davon gar wegen versuchter Tötung.
Der Streit war offenbar eine Art Revierkampf zwischen verschiedenen Töff-Gangs. Gemäss Anklageschrift wollte der zum Zeitpunkt noch nicht offiziell in der Schweiz vertretene Töff-Club Bandidos im Berner Vorort sein erstes Clublokal hierzulande eröffnen. Bereits am 11. Mai 2019 sind Mitglieder an einer Motorradausstellung in Sugiez FR in Klamotten mit Bandidos-Logo aufgekreuzt, was die ansässigen Rocker – die Hells Angels und die Broncos – als Provokation aufgefasst haben.
Rocker-Krieg war ein Revier-Kampf
Am Abend nach der Ausstellung sei im designierten Vereinslokal in Belp bereits eine Geburtstagsfete gestiegen. Die Höllenengel und der befreundete Motorrad-Club, die Broncos, hätten laut der Staatsanwaltschaft Wind von der Bandidos-Sause gekriegt und ihre Leute zusammen getrommelt.
Die Geburtstagsgäste hätten laut Anklage um kurz vor 18 Uhr 20 bis 30 Rivalen auf einem Restaurant-Parkplatz in Belp gesichtet. Es sei sofort klar gewesen, dass es zu einer Auseinandersetzung komme – daraufhin hätte man sich bewaffnet.
22 Beschuldigte – einer sitzt im Knast!
Vor Ort soll der Streit schliesslich komplett eskaliert sein. Mehrere Personen wurden verletzt, drei sogar schwer. Die Polizei stellte damals Schusswaffen sicher und konnte 34 Personen anhalten. Gegen zwei Personen wurde nie ein Verfahren eröffnet – gegen zehn weitere wurde das Verfahren später eingestellt, weil sich der Verdacht der Teilnahme an der Schlägerei nicht ausreichend erhärten liess.
Von den 22 verbleibenden Beschuldigten müssen sich zwei Bandidos nebst Raufhandel auch wegen versuchter Tötung verantworten. Einer der Hauptangeklagten (37) befindet sich seit Oktober 2020 im vorzeitigen Strafvollzug. Ihm wird vorgeworfen, einen Hells Angel mit einer Schusswaffe lebensgefährlich verletzt zu haben: Der getroffene Biker habe einen Durchschuss in der Bauchregion erlitten.
Immenser Aufwand für Behörden
Ein derartiges Verfahren gegen so viele Beschuldigte bedeutet laut Rechtsanwalt André Kuhn (47) enorm viel Aufwand für die Strafverfolgungsbehörden. «Gerade in den ersten 48 Stunden verlangt das den Behörden extrem viel ab. Mit sämtlichen Beschuldigten müssen innert dieser Frist Einvernahmen abgehalten und schliesslich für jeden einzelnen Haftanträge gestellt werden», so der Aargauer, der selbst auch schon Hells-Angels-Mitglieder vor Gericht vertreten hat.
Erfahrungsgemäss würden Mitglieder «solcher Gruppierungen» die Aussage verweigern, führt Kuhn aus: «Sie müssen sich vorstellen, das sind Freunde, die grosse Teile ihrer Freizeit gemeinsam verbringen. Niemand sagt gerne gegen Freunde aus.»
«Der Staat packt Rocker eher hart an»
Auffallend ist: Gerade bei Rocker-Prozessen musste die Anklage in den letzten beiden Jahrzehnten oftmals klein beigeben. Mehrfach wurden Mitglieder von Töff-Gangs zwar per Strafbefehl schuldig gesprochen, später dann vor Gericht jedoch freigesprochen. Kuhn: «Der Grundsatz ‹im Zweifel für den Angeklagten› gilt erst vor Gericht. Wenn die Staatsanwaltschaft selber urteilt, wird im Zweifel erfahrungsgemäss ein Schuldspruch ausgefällt.» Daher lohne es sich oftmals für Beschuldigte in solchen Verfahren, Einsprache gegen den Strafbefehl zu erheben.
«Der Richter muss dem Beschuldigten im Verfahren zweifelsfrei seine Schuld beweisen können und das ist meistens die Schwierigkeit. Die reine Anwesenheit bei einer Straftat genügt nicht und oftmals können bei solchen Ereignissen die einzelnen Personen nicht eindeutig identifiziert werden», sagt der Experte. Die fehlenden Aussagen würden die Arbeit der Behörden manchmal erschweren.
Generell ist Kuhn der Auffassung, dass der Staat mit Rockern nicht zimperlich umgehe: «Im Gegenteil, meistens werden sie aus meiner Sicht eher hart angepackt und länger in Untersuchungshaft behalten, als andere Beschuldigte.» Damit wolle man wohl in der Öffentlichkeit ein Zeichen setzen, dass solche Rocker-Querelen hierzulande nicht akzeptiert würden, so der Anwalt weiter.
Rocker-Prozess dauert mehrere Wochen an
Dass es in Rocker-Prozessen in der Vergangenheit oftmals zu Freisprüchen aufgrund ungenügender Beweismittel gekommen ist, sieht der Rechtsexperte daher auch nicht als Schuld der Staatsanwaltschaft an: «Diese Personen sind oftmals alle ähnlich gekleidet und auch wenn Fotos oder Videos von solchen Ereignissen existieren, ist die Qualität nicht immer gut genug. Die Behörden tun ihr Möglichstes, solche Straftaten aufzudecken – aber solche Gruppendelikte sind einfach sehr komplex.»
Das Urteil wird voraussichtlich am 30. Juni gefällt. Für die 22 Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.