Die 35-seitige Anklageschrift und die mehrere Tausend Seiten umfassende Untersuchungsakte erzählen furchtbare Geschichten. 16 Jahre lang sollen vier Frauen im Berner Jura von einem Familienclan wie Sklavinnen gehalten worden sein. Patriarch Albrim F.* (65) und seine vier Söhne sollen sie aus dem Kosovo in die Schweiz gelockt, zur Hochzeit gezwungen und eingeschlossen und vergewaltigt haben. Doch von der Horrorgeschichte bleibt nach einer ganzen Verhandlungswoche nicht viel bestehen.
Das fünfköpfige Richtergremium in Moutier BE lässt Menschenhandel, Zwangsheirat, Körperverletzung, Entführung, Drohung, Vergewaltigung, Sozialhilfebetrug nicht gelten. Einzig die Punkte Sex mit einer Minderjährigen, Vergehen gegen das Ausländergesetz und Drohung führen zu einer Verurteilung. Zwei Brüder wurden freigesprochen, der Vater erhält eine bedingte Freiheitsstrafe von 150 Tagen, ein Sohn 120 Tage bedingt, ein weiterer eine Busse über 100 Tagessätze.
Anklage mit Schwächen
Der Prozess hat für die Anklage bereits unter einem schlechten Stern begonnen. Der Anwalt teilte am Anfang des Prozesses gleich mit, dass er eine Covid-Erkrankung durchgemacht habe. Schwach war denn auch seine Anklage. Am vierten Prozesstag stellte er schliesslich fest, dass die schweren Anklagepunkte kaum zu beweisen sind. Er erklärte: «Es ist schwer, einen unabhängigen Zeugen zu finden, der über Verstösse gegen Gesetze aus erster Hand berichten könnte.»
Doch noch schlimmer waren die sich widersprechenden und nicht konsistenten Vorwürfe der Privatklägerinnen. Während vier Stunden zerfetzte der vorsitzende Richter am Donnerstag die einzelnen Aussagen. So fällt es ihm schwer, den latenten Hang zu Gewalt der Männer zu glauben. Er sagt: «Bei einer Befragung sagte eine Frau nebenbei, dass ihr Mann keine Gewalt ausübe, weil er Angst vor der Polizei habe. Gleichzeitig sprach sie zuvor von Ohrfeigen und Schlägen.»
Schockierendes Verhalten
Auch die Aussagen der Frauen zu den Vergewaltigungen, dem Menschenhandel seien voll von Widersprüchen. «Sie erfüllen nicht die Anforderungen für eine Verurteilung», sagt der Richter. Er hält fest, dass ihn vieles am Verhalten dieser Familie schockiere, aber strafrechtlich relevant sei an den Vorwürfen fast nichts.
Die Anwälte der Brüder und des Vaters verlassen den Gerichtssaal strahlend. «Die Wahrheit ist wiederhergestellt, mein Mandant ist sehr erleichtert», sagt Georges Reymond, der Anwalt des Vaters. Auch Verteidiger Dimitri Gianoli, dessen Mandant ganz freigesprochen wurde, freut sich: «Jetzt können die Männer wieder ein normales Leben aufbauen, die schweren Vorwürfe sind vom Tisch sind.» Verteidiger Jeton Kryeziu sagt über seinen Mandanten: «Er kann jetzt aufschnaufen. Die letzten vier Jahre waren extrem schwer durch die schlimmen Vorwürfe.»
Ganz anders sieht es die Seite der Opferanwälte. Dominic Nellen sagt: «Die Richter haben es mit ‹im Zweifel für den Angeklagten› begründet. Wir prüfen einen Weiterzug an die nächste Instanz. Es ist eine weitere Ohrfeige in das Gesicht der Opfer.»
Regionalgericht Moutier BE: Kosovaren-Clan hielt Frauen wie Sklavinnen