Adelina X. war mit einem erzkonservativen Kosovaren verlobt – und erlebte Ähnliches wie die «Sklavinnen» aus dem Berner Jura
«Auch ich sollte meinen Schwiegereltern die Füsse waschen»

Ein Kosovaren-Clan soll über Jahre junge Frauen wie Sklavinnen gehalten haben. Mitten in der Schweiz. Jetzt bricht eine Frau mit kosovarischen Wurzeln im Blick ihr Schweigen – und zeigt auf, dass das kein Einzelfall ist. Denn sie erlebte Ähnliches.
Publiziert: 04.11.2022 um 00:16 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2022 um 10:48 Uhr
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Adelina X. packt im Blick aus, nachdem sie vom Fall im Berner Jura erfahren hat. «Ich war in einer ähnlichen Lage. Auch ich sollte meinen Schwiegereltern die Füsse waschen.» (Symbolbild)
Foto: Shutterstock
Nicolas Lurati

Als Adelina X.* vom Fall aus dem Berner Jura erfährt, ist ihre Reaktion eindeutig: «Ich dachte mir, jemand muss jetzt mal auspacken und die Wahrheit erzählen.» Sie spricht von jenem extremen Fall aus dem Kanton Bern, in dem ein kosovarischer Patriarch und seine vier Söhne deren vier «Ehefrauen» wie Sklavinnen gehalten haben sollen.

Am Montag startet in Moutier BE der Prozess gegen Patriarch Albrim F.* (65) und seine vier Söhne. Die Anklageschrift ist der reinste Horror: Die Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten unter anderem Menschenhandel, Vergewaltigung, Zwangsheirat, Körperverletzung, Nötigung und sexuelle Handlungen mit Kindern vor.

«Ich weiss, wie sich das anfühlt»

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So etwas sei kein Einzelfall. «Das gibt es sehr oft in der albanischstämmigen Community in der Schweiz.» Doch darüber werde geschwiegen. X., deren Familie aus dem Kosovo stammt, weiss, wovon sie spricht. «Ich war auch eine Betroffene. Ich war in einer ähnlichen Lage. Ich weiss, wie sich das anfühlt.» Denn sie hatte sich mit einem jungen Kosovaren verlobt. «Und schon bald wurde mir klar, dass ich bloss die Dienerin des Hauses sein werde – für ihn, seine Mutter und seinen Vater. Putzfrau, Hausfrau, Mutter – so hätten meine Aufgaben für die Zukunft ausgesehen.»

Mit der Verlobung sei sie auf ihre Rolle als Ehefrau in dieser erzkonservativen Familie vorbereitet worden. «Und diese Rolle hätte auch beinhaltet, den Schwiegereltern die Füsse zu waschen.» So, wie dies auch eines der Opfer im Fall aus dem Berner Jura tun musste.

Ihr Verlobter habe sie zwar nicht geschlagen, aber psychischen Druck ausgeübt. «Sobald es ihm nicht passte, dass ich meine eigene Meinung kundtat, verwies er mich auf meinen ‹Platz› in der Familienhierarchie. Dieser befand sich ganz unten.»

Familie lebte nach dem Kanun

Als sie ihren späteren Verlobten kennenlernte, sei dies nicht so gewesen. Er sei ihr allererster Freund gewesen. Als sie sich verlobt, ist X. 18 Jahre alt. Der Mann ein bisschen älter.

Doch schon bald seien «zwei Welten aufeinandergeprallt», wie X. sagt. «Obwohl wir aus der gleichen Kultur stammen. Auch seine Familie ist aus dem Kosovo. Aber ich bin in einer fortschrittlichen, gebildeten, integrierten Familie aufgewachsen.» Doch die Familie ihres Verlobten lebte nach dem Kanun, dem mittelalterlichen albanischen Gewohnheitsrecht.

Und Adelina X. wurde schnell klargemacht, wie sie zu sein hat. «Hat man beim Sitzen die Beine übereinandergeschlagen oder trägt man lange Fingernägel, ist man eine Hure. Schminke und gefärbte Haare werden nicht toleriert.»

«Ich war ihnen zu aufmüpfig»

Doch Adelina X. wehrte sich. «Ich wollte mich nicht unterdrücken lassen.» Mit ihrer Geschichte will sie ethnischen Albanerinnen Mut machen. «Man kann – oft, aber nicht immer – weggehen, man kann ins Frauenhaus, man kann sich trennen.» Letzteres tat X. damals.

Ihr Verlobter und seine Familie hätten ihre Flucht gleichgültig hingenommen. «Aus ihrer Sicht gab es für ihren Sohn sowieso bessere Albanerinnen. Ich war ihnen zu aufmüpfig.» Sie ist froh, dass sie den Ausstieg geschafft hat. Und zwar rechtzeitig.

* Namen geändert

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