«Sie kamen in die Schweiz und wurden sofort vergewaltigt»
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Anwalt der Opfer:«Sie kamen in die Schweiz und wurden sofort vergewaltigt»

Kanun-Hölle in Moutier BE – Lebensgefahr in der Heimat
Sklavin von Balkan-Clan droht Ausschaffung

Sie durchlebten die Hölle. 16 Jahre lang wurden vier Frauen im Berner Jura von einem Familienclan wie Sklavinnen gehalten. Während den fünf Männern der Prozess gemacht wird, muss mindestens eine der Frauen um ihre Zukunft in der Schweiz fürchten.
Publiziert: 05.11.2022 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2022 um 09:58 Uhr
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Der Familienclan auf dem Weg zum Prozess.
Foto: Blick
Luisa Ita

Für 300 Euro wurde eine der vier Frauen aus dem Balkan mit damals 14 Jahren an ihren zukünftigen Gatten und mutmasslichen Peiniger in den Berner Jura verkauft: Die Anklageschrift für den Prozess, der am Montag in Moutier BE beginnt, umfasst 30 Seiten voller Gräueltaten. Und jetzt kommt heraus: Mindestens eine der Betroffenen muss auch noch um ihr Leben hier in der Schweiz bangen, ihr droht die Ausschaffung.

Patriarch Albrim F.* (65) soll ab 2003 für seine vier Söhne Frauen zwischen 14 und 17 Jahren in die Schweiz geholt haben – teilweise illegal. Als Kopf der Familie habe er – so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft – seine Söhne haargenau angewiesen, wie sie mit ihren Frauen umzugehen hätten: mit Gewalt. Demnach wurden die Opfer von den Familienmitgliedern immer wieder verprügelt, erniedrigt, mit dem Tod bedroht, isoliert und vergewaltigt.

Männer fungierten als Aufpasser und Übersetzer

Die Frauen durften die Wohnung nur selten allein verlassen, mit ihren Familien in der Heimat fast keinen Kontakt haben. Unter diesen isolierten Umständen hätten die Frauen keine Chance gehabt, die Landessprache zu erlernen.

Zu Behördenterminen seien die Frauen auch immer mindestens von einem Mann begleitet worden, erklärt Dominic Nellen (38), der zwei der Frauen vor Gericht vertritt: «Die Männer beherrschen die Landessprachen perfekt und sind als Übersetzer beziehungsweise als Aufpasser immer mit den Frauen mit an diese Termine gegangen.» Vorwürfe, dass ihnen die Missstände nicht früher aufgefallen sind, macht er den Behörden aber nicht: «Es war fast unmöglich, das als aussenstehende Person zu bemerken.»

Abschiebung nur mit grossem juristischem Aufwand hinausgezögert

Die Beschuldigten hätten sich darum auch um den ganzen Papierkram bei der Einreise ihrer Gattinnen gekümmert – aber eben nicht wirklich ordentlich. «Die Frauen leben bis heute in einer prekären ausländerrechtlichen Situation», sagt Nellen. Sie wurden nie korrekt angemeldet, die Männer beantragten keine B-Bewilligung, reichten Unterlagen verspätet oder gar nicht ein.

Mindestens einer der Frauen drohe nun die Abschiebung, so Nellen weiter: «Wir konnten die Wegweisung meiner Klientin nur mit grossem juristischem Aufwand hinauszögern, da das Gerichtsverfahren noch läuft.» Nach einem rechtskräftigen Urteil werde das Thema aber wieder akut.

Eine Rückkehr ins Heimatland ist riskant

Da das mutmassliche Vergewaltigungsopfer dem Familienclan den Rücken zugewendet hat und das in dieser Kultur als Verrat gilt, ist nicht auszumalen, welche Gefahren eine Rückkehr ins Heimatland für sie bergen würde. «Kulturell bedingt kann sie auch nicht zur eigenen Familie zurückkehren und da Schutz suchen, denn dort gilt sie als schlechte Ehefrau.»

Ob sie trotz dieser laut Dominic Nellen «realen Gefahr» ausgewiesen werden könnte, dazu kann sich das zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) aus Datenschutzgründen nicht äussern. In einer schriftlichen Stellungnahme auf Anfrage von Blick schreibt die Behörde aber: «Jeder Mensch, dem in der Heimat Verfolgung droht, kann in der Schweiz ein Asylgesuch einreichen.» Daraufhin kläre das SEM ab, ob dem Gesuch stattgegeben werden könne. In Fällen von Menschenhandel werde beispielsweise sehr genau geprüft, ob die im Rückkehrstaat vorhandenen Instrumente zum Opferschutz ausreichen würden.

Ein Leben am Existenzminimum

Was die drohende Abschiebung ausserdem mit sich bringt: Die betroffene Frau, die laut Anklage jahrelang wie eine Sklavin gehalten worden sein soll, darf nicht arbeiten und kriegt keine Sozialhilfe mehr. Laut ihrem Anwalt lebt sie derzeit von einer Nothilfe: «Aber sie ist am Existenzminimum, die anderen drei Betroffenen übrigens auch.»

Der Traum von einem schöneren Leben in der Schweiz mit guten Bildungschancen ist für die vier Frauen geplatzt. Für die fünf Beschuldigten, die laut Nellen keine Schuld bei sich sehen, gilt bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung.

Die mehrtägige Gerichtsverhandlung wegen Menschenhandel, Zwangsheirat, Körperverletzung, Nötigung, Vergewaltigung und sexueller Handlungen mit Kindern beginnt am Montag, das Urteil wird voraussichtlich am 24. November 2022 gefällt.

* Name geändert


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