Seit 25 Jahren hat Dr. Samuel Gut in Konolfingen BE seine eigene Arztpraxis. Obwohl er bald 65 Jahre wird, wollte er noch zwei Jahre weiterarbeiten. Um gemeinsam mit seiner zwei Jahre jüngeren Praxis-Assistentin in Rente zu gehen. Doch daraus wird nichts. Er schliesst seine Praxis auf März.
Steigende Kosten und Aufwand, sinkender Ertrag
Er habe sich den Schritt schon länger überlegt, erzählt Gut Blick. «Es wird immer schwieriger, ein Allgemeinarzt mit eigener Praxis zu sein.» So sorge nicht nur die anhaltende Medikamenten-Knappheit, sondern auch die Schliessung der Spitäler Münsingen und Tiefenau für Mehraufwand. «Ich telefoniere täglich mit Spitälern, um einen neuen Platz für einen Patienten zu finden. Oder diskutiere teils stundenlang mit Patienten und ihren Krankenkassen, um einen Ersatz für ein fehlendes Medikament zu finden. Das kostet viel Zeit, die mir niemand bezahlt.»
Gleichzeitig würden seine Einnahmen jedes Jahr weniger, so Gut. Der Tarif, nach dem Allgemeinärzte wie Gut ihre Arbeit berechnen, stagniere seit 20 Jahren. «Wir gehören zur Grundversorgung, also gibt es für uns weder freie Wirtschaft noch Teuerungsausgleich.» Weil aber Aufwand und Kosten immer weiter steigen, findet Gut auch keinen Nachfolger für seine Praxis – obwohl er bereits seit zweieinhalb Jahren danach sucht.
50'000 Franken für erzwungene Digitalisierung
Doch dann kam der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Im vergangenen Jahr verkündete der Kanton Bern, dass das neue Gesetz zur digitalen Verwaltung am 1. März 2024 in Kraft tritt. Dieses besagt, dass alle Behörden digital arbeiten und kommunizieren müssen, ausser sie könnten ihre Aufgabe so nicht wirksam erfüllen. Das gilt auch für die mit Behörden zusammenarbeitende Wirtschaft.
25 Jahre lang erstellte Gut jede einzelne Patientenakte von Hand. Ab März müsste er die Berichte der medizinischen Kontrollen für das Berner Strassenverkehrsamt digital einreichen und dafür einen PC, Internet und eine spezielle Software anschaffen. Oder mit diesem Teil seiner Arbeit aufhören.
Der Bund geht bald noch einen Schritt weiter: Mit seinem Ende November gestarteten Programm Digisanté will er die elektronische Kommunikation der gesamten Gesundheitsbranche vereinheitlichen. Während die neuen Regeln für neu geschaffene Praxen bereits ab dem kommenden Jahr gelten, gewährt der Bund den bestehenden Praxen eine nicht genau definierte Übergangsfrist.
«Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis es uns alle trifft», so Gut. Eine Hiobsbotschaft für ihn. Denn sie bedeutet: Der Arzt muss Tausende Patientenakten digitalisieren. Die Kosten für Hardware, Software aber vor allem die immense Arbeit würden sich auf insgesamt 50'000 Franken belaufen.
Vom Pensionskonto in die Abrissmulde
Keine Option für den baldigen Rentner. Gerade auch deshalb, weil er keinen Nachfolger für seine Praxis gefunden hat und diese darum nach der Schliessung wieder zu einer Wohnung zurückgebaut wird. «Das heisst, die gesamte Einrichtung wird herausgerissen und entsorgt.» Die 50'000 Franken würden also direkt von seinem Pensionskonto in die Abrissmulde gehen.
Stattdessen entschloss sich Gut, seine Praxis gleich ganz zu schliessen. Zwar hätte ihn die Gesamtdigitalisierung seines Betriebs bis zum geplanten Rentengang vielleicht gar nicht mehr betroffen. Doch auch der vom Kanton erzwungene teilweise Arbeitsstopp würde ein weiter sinkendes Einkommen in einer bereits angespannten Lage bedeuten. «Ich verdiene immer weniger, arbeite immer mehr – und soll noch investieren.»
Für Gut ist die fortschreitende Digitalisierung der Gesundheitsbranche nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. «Gerade in grossen Spitälern kann sie vieles vereinfachen.» Er selbst arbeite aber lieber analog. «Ich sehe meine Patienten als ganzen Menschen und nicht als Dokumente im Computer.» Weswegen er den Digital-Zwang durch den Kanton nicht akzeptieren will. «Damit schiebt der Kanton mir seine Arbeit und Kosten auf.»