Auf einen Blick
- Stefan Pfäffli war 13 Jahre oxycodonabhängig. Jetzt hat er grosse Geldsorgen.
- Suva stellt Lohnfortzahlung ein, ignoriert anhaltende Nebenwirkungen des Medikaments
- Pfäffli nahm bis zu 180 Milligramm Oxycodon pro Tag
13 Jahre war der Berner Stefan Pfäffli (51) von einem Medikament mit dem Wirkstoff Oxycodon abhängig. Das starke und schnell abhängig machende Schmerzmittel hat er sich aber nicht etwa auf dem Schwarzmarkt besorgt, sondern bekam es vom Arzt verschrieben. Die Rechnung dafür übernahm die Suva. Aber als Pfäffli aus eigener Kraft endlich den Entzug schafft, beginnen neue Probleme. Denn jetzt hat er gewaltige Geldsorgen.
Alles beginnt 1992, als der damals 19-jährige Pfäffli Beifahrer bei einem Autounfall ist. «Mein rechter Fuss wurde dabei zertrümmert.» Pfäffli kämpft sich durch mehrere OPs und lange Rehazeiten zurück in sein Leben. Fünf Jahre ist alles gut – dann beginnen die Schmerzen. «In meinem Fuss hatte sich Narbengewebe und eine Arthrose gebildet. Darum entzündete er sich immer wieder.» 2010 wird Pfäffli erneut operiert. Und erhält zum ersten Mal ein Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Oxycodon.
Weil seine Schmerzen immer schlimmer werden, nimmt Pfäffli immer mehr von dem Opioid. Angefangen bei 20 Milligramm pro Tag, steigt sein Konsum auf 180 Milligramm pro Tag. Je höher die Dosis, desto stärker die Nebenwirkungen: Juckreiz, Verdauungsstörungen, Zahnprobleme, Atemstörungen, Schlaflosigkeit und eine generelle Kraftlosigkeit. In der schlimmsten Zeit denkt Pfäffli an Suizid. «Aber für meine Familie musste ich weitermachen.»
Von einer Stelle zur nächsten zu nichts
Pfäffli hat ausser in den Rehazeiten immer gearbeitet. Aber ab 2019 geht es nicht mehr: «Die Schmerzen und Nebenwirkungen waren zu viel.» Er meldet sich bei der IV an, die ihm eine Umschulung ermöglicht. «Als ich 2020 mit der Stellensuche anfing, kam Covid und ich landete beim RAV.» Im Mai 2022 sind seine Arbeitslosentage aufgebraucht. Die Suva übernimmt, zahlt Pfäffli knapp 4400 Franken Unfall-Taggeld pro Monat sowie Heilungskosten.
Doch Pfäffli will immer noch clean werden. Er versucht, die Medikamente abzusetzen, scheitert aber immer wieder. «Es war wie ein innerer Wecker. Nach zwei Stunden fing ich an zu schwitzen, mir wurde schwindlig und wie im Tunnel sah ich nur noch das Schmerzmittel.»
Doch er kämpft weiter und hat schliesslich Erfolg. Während eines Jahres reduziert er langsam seine Dosis, seine letzte Oxycodon-Tablette nimmt er im September 2023. Das Problem: Pfäffli leidet noch heute unter den meisten seiner früheren Nebenwirkungen und ist deshalb immer noch zu 100 Prozent krankgeschrieben.
Doch damit nicht genug. Seit dem Entzug steckt Pfäffli in gewaltigen Geldproblemen. Der Grund: Die Suva hat ihm per Mitte Mai 2024 die Lohnfortzahlung gekündigt. Weil «keine weitere Behandlung mehr nötig ist», wie sie in der Verfügung schreibt. Heisst: Weil Pfäffli kein Oxycodon mehr «braucht», ist er für die Suva gesund und damit arbeitsfähig. Dem 51-Jährigen bleibt nur eine monatliche Rente von rund 400 Franken für seinen Fuss, die er seit 2015 erhält.
Pfäffli ist frustriert, denn wegen der Nebenwirkungen des Konsums ist an Arbeit nicht zu denken. «Doch die Suva ignoriert meine Nebenwirkungen und sucht dafür andere Ursachen, egal, wie unwahrscheinlich die sind», sagt er. Besonders stossend für Pfäffli: Der Suva-Gutachter wirft ihm vor, zu lügen und weiterhin Oxycodon zu nehmen. «Absolute Frechheit», findet Pfäffli. «Ich habe rund 24'000 Oxycodon-Tabletten geschluckt. Keine einzige davon ohne Anweisung eines Arztes.» Die Suva will sich aufgrund des laufenden Verfahrens auf Blick-Anfrage nicht zu Pfäfflis Fall äussern.
Allgemein erklärt die Suva jedoch: «Zur Beurteilung, ob Unfallfolgen vorliegen, holt die Suva bei den behandelnden Ärzten die medizinischen Unterlagen.» Gestützt auf diese werde eine Beurteilung vorgenommen. Weiter heisst es: «Wenn die Unfallfolgen abheilen, kann es sein, dass krankheitsbedingte Veränderungen oder Folgen von früheren Unfällen für weiterbestehende Beschwerden verantwortlich sind.» Die Suva berücksichtige diese. Sie erklärt: «Wird eine versicherte Person infolge eines Unfalls arbeitsunfähig, so hat sie Anspruch auf ein Taggeld. Der Taggeldanspruch erlischt mit der Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit, mit dem Beginn einer Rente oder mit dem Tod.» Ein stabiler Gesundheitszustand sei nicht mit einer vollständigen Genesung zu verwechseln.
Arzt würde Oxycodon nicht mehr verschreiben
Der Arzt, der Pfäffli das Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Oxycodon jahrelang verschrieben hat, ist ein renommierter Schmerztherapeut. Pfäffli sagt noch heute über ihn: «Er ist der beste Arzt, den ich je hatte. Er hat ein Jahrzehnt lang für mich gekämpft.»
Der Arzt gibt Pfäffli Rückendeckung, kann den Suva-Entscheid nicht verstehen. «Pfäffli ist noch immer krank.» Dass Pfäffli über ein Jahr nach der letzten Schmerztablette noch Entzugssymptome hat, verwundert den Arzt nicht. «Das kann einige Wochen oder aber auch mehrere Jahre dauern. Gerade wenn jemand 13 Jahre und in einer solchen Dosis solche Schmerzmittel nimmt, bleiben die Symptome länger.»
Könnte der Schmerztherapeut zurück, würde er Pfäffli heute kein Oxycodon mehr verschreiben. «Es kann helfen, wenn man es gezielt anwendet. Aber bei ihm ist es eskaliert.» Unter anderem hätte die Suva Druck gemacht, dass Pfäffli die Arbeitseingliederung durchläuft. «Dafür musste er schmerzfrei sein, weswegen wir seine Dosis immer weiter erhöht haben.»
Die Aussichten für Pfäffli sind derweil düster. Er würde gerne eine Eingliederung über die IV machen. Aber die hat sein Gesuch abgelehnt, weil er gemäss Suva-Akte wieder arbeiten kann. «Wir kriegen die ersten Mahnungen. Ich weiss nicht, was ich tun soll.»