Der Zürcher Maurizio S.* (33) will arbeiten, doch er kann nicht. Wegen eines Schleudertraumas, das er sich bei einem schweren Auffahrunfall im September 2022 zuzog. Seither leidet der Italiener an diversen Beschwerden wie etwa an andauernden schlimmen Schmerzen, so dass er es an manchen Tagen nicht aus dem Bett schafft. Er hat auch schon seine Freundin in der Migros stehen lassen, weil er sich plötzlich nicht mehr an sie erinnern konnte.
Obwohl der Informatiker aus ärztlicher Sicht weiterhin als arbeitsunfähig gilt, will die Suva jetzt nach rund einem Jahr ihre Leistungen von rund 6000 Franken monatlich auf Ende November einstellen.
Für Maurizio S. ein vernichtender Entscheid. Zu Blick sagt er: «Meine Existenz ist bedroht! Wegen der Schmerzen kann ich nicht arbeiten.»
Plötzlich kracht es
Sein Leidensweg begann vor einem Jahr: Auf der Rückfahrt aus seinen Italien-Ferien kracht es auf der Autobahn bei Orvieto (I). Ein Transporter rammt sein Auto von hinten. Seither ist der Alltag von Maurizio S. von Schmerzen geprägt. «Nicht einmal Cortison-Infiltrationen und starke Schmerzmittel wie etwa Oxycodon helfen mir, diese in den Griff zu bekommen.»
So leidet Maurizio S. an starken Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen und Schwindel. Auch hat er Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisprobleme. Der Verdacht der Ärzte: eine leichtgradige Hirnverletzung. Seinem Beruf als Informatiker nachgehen? Zurzeit nicht möglich. Auch Boccia kann er nicht mehr spielen, weil er durch den gereizten Ulnaris-Nerv ständig Stromschläge im rechten Arm spürt.
Seit dem Unfall leidet der 33-Jährige auch an Depressionen, Panikattacken und an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Bleibende Schäden?
Für seine behandelnden Ärzte steht fest: Maurizio S. ist weiterhin arbeitsunfähig, und seine gesundheitlichen Beschwerden hängen klar mit dem Unfall zusammen. So schreibt einer: «Das Verletzungsmuster und der Symptomkomplex kann als Schleudertrauma infolge der heftigen Auffahrkollision vor einem Jahr bezeichnet werden.» Er befürchtet, «dass sich der Zustand nicht mehr vollständig erholt und ein bleibender Schaden» bleiben wird.
Kein Zusammenhang?
Die Suva schreibt in ihrer Einstellungsverfügung jedoch: Die beklagten Beschwerden seien organisch nicht hinreichend nachweisbar. Auch sei der Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Problemen und dem Unfall nicht erstellt.
S. findet die Verfügung der Suva frech: «Sie haben mich nie persönlich getroffen, schon gar nicht begutachten lassen.»
Bleibende Beschwerden
Zwar liegt der Verfügung eine Kurzbeurteilung eines Suva-Arztes bei. Doch diese stützt sich auf Untersuchungen des Spitals Limmattal vom Februar 2023. Dort sollen bei einem MRI keine Schäden am Schädel oder an der Wirbelsäule entdeckt worden sein, dafür aber unter anderem Veränderungen an mehreren Bandscheiben, wie etwa eine Hernie oder Vorwölbungen.
In der Beurteilung des Spitals vom Februar heisst es: «Erfreulicherweise besteht bereits eine bestimmte Beschwerdeverbesserung.» Dennoch könnten posttraumatische Unfall-assoziierte Beschwerden wie Schmerzen, Müdigkeit- und Konzentrationsstörungen nicht mit einer Bildgebung ausgeschlossen werden.
Diesen Herbst urteilt das Spital dann: «Leider ist der Verlauf weiterhin protrahiert (verzögert, Red.) – ohne dass sich in den letzten Monaten eine relevante Veränderung abgezeichnet hat.» Und bestätigt den «Zusammenhang zwischen dem Auffahrunfall und den aktuell weiterhin persistierenden posttraumatischen Beschwerden des Patienten.»
«Verfügung ist widersprüchlich»
Maurizio S. hat wegen der Verfügung seinen Anwalt Patrik Howald eingeschaltet. Er sagt zu Blick: «Die Suva blendet die ihr nicht genehmen Arztberichte einfach aus.» Die Verfügung kritisiert er: «Sie ist unvollständig und widersprüchlich. Im beiliegenden Bericht des internen Arztes der Suva wird schliesslich sogar behauptet, mein Klient habe gar keine Beschwerden. In der Verfügung wiederum werden nicht die Beschwerden bestritten, sondern deren Zusammenhang mit dem Unfallereignis.»
Er stellt sich auf den Standpunkt, dass die Suva in diesem Fall tiefergehende Abklärungen hätte treffen müssen – wie etwa S. zu begutachten. Doch: «Das ganze System basiert darauf, dass tiefergehende Abklärungen dann erst getätigt oder von einem Gericht angeordnet werden, wenn sich die betroffene Person wehrt.»
Freiwilliger Eingliederungsversuch
Maurizio S. betont: «Ich will nicht für immer auf die Unterstützung der Suva angewiesen sein. Doch mein Körper braucht schlicht noch etwas Zeit, um sich zu erholen!»
Bereits im März hat Maurizio S. freiwillig einen Arbeitsversuch gestartet – musste diesen jedoch wegen seiner Beschwerden abbrechen. Nach diesem ersten Arbeitsversuch nahm Maurizio S. auch Eingliederungsmassnahmen der IV bei der SVA Zürich wahr. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit wurden diese jedoch abgeschlossen.
Arbeitsversuch unternommen
Die Suva macht zum vorliegenden Fall keine Angaben, weil es «sich um ein laufendes Verfahren handelt und die Einstellungsverfügung noch nicht rechtskräftig» ist. S. habe die Möglichkeit, innerhalb von 30 Tagen Einsprache zu erheben.
Das hat Maurizio S. über seinen Anwalt nun vor. Bis ein endgültiger Entscheid vorliegt, wird es dauern. Gleichzeitig wird geprüft, ob die IV in seinem Fall greift. Klar ist: Per Ende November stellt die Suva die Leistungen ein. Für Maurizio S. ein herber Schlag: «Ich werde wohl zur Überbrückung Sozialhilfe beantragen müssen.»
*Name bekannt