Seit 1981 arbeitete Stefan Thürig (62) als Säger. Der Thurgauer war ein richtiger Büezer. 40 Jahre lang verrichtete er harte körperliche Arbeit. Zunächst im Betrieb seines Vaters, ab 2013 in einer Sägerei im Kanton Thurgau.
Doch irgendwann war der Körper abgenutzt – und streikte: Im Februar 2017 entzündete sich seine Schulter. Im Herbst des gleichen Jahres rutschte Thürig aus, als er neben einem Arbeitsgerät stand. «Meine Schulter erlitt Totalschaden», sagt er zu Blick.
Problematisch: Thürig war da schon 57 Jahre alt. Zu jung für die Pension, aber zu alt, um sich beruflich nochmals neu zu orientieren. Kommt hinzu, dass ihn heftige Rückenschmerzen plagen. Und: Auch seine Schulter schmerzt. Selbst regelmässige Sitzungen beim Physiotherapeuten halfen nicht.
Arbeit als Säger nicht mehr zumutbar
Thürig kann also seit fast sechs Jahren seine Schulter kaum mehr bewegen. Seiner Arbeit als Säger kann er so nicht mehr nachgehen. Thürig wendet sich an die Suva und die IV. Er hofft auf Hilfe. Und diese folgt zunächst rasch: Die IV erkennt den Ostschweizer als 100 Prozent arbeitsunfähig an und spricht eine volle Invalidenrente. Thürig ist beruhigt. «Ich konnte mich darauf konzentrieren, zu genesen.»
Doch schon bald folgte der Schreck: Nach einigen ausbezahlten Renten kam die IV im Mai 2022 zum Schluss, dass Thürig keine Invalidenrente mehr beanspruchen kann. Sie begründete es so: Thürig sei zu wenig schwerwiegend verletzt gewesen, um gar nicht arbeiten zu können.
Die Suva anerkannte zwar, dass dem Mann die körperliche Arbeit als Säger nicht mehr zumutbar sei. Stattdessen müsse er einen anderen Beruf suchen. Und das mit Ende 50.
Um welchen Job es sich genau handeln soll, konkretisierte die Suva nicht. Aber sie stellte Bedingungen und formulierte ein Anforderungsprofil für den verletzten Säger, das etliche Hürden stellt. So darf er «keine Zwangshaltung oder Rotation des Rumpfes» vornehmen, nicht lange stehen, nicht auf Leitern steigen und nur gelegentlich Treppen steigen – dies aber auch nur «mit sehr leichten Lasten».
Der Rattenschwanz geht weiter: Er darf nicht knien, nicht hocken und sich nur «kurzzeitig und selten» bücken. Arbeiten über dem Kopf sind ihm verboten. An die Arbeit als Säger ist so nicht zu denken. Nicht einmal mehr Staubsaugen dürfte der Ostschweizer ohne Hilfe.
Thürig erzählt, dass es seine Anwältin ihm gegenüber auf den Punkt brachte: «Sie sagte, der Job, den man mir vorschlage, gebe es schlicht nicht.»
Was allenfalls für Thürig funktionieren würde: ein Job im Büro. Aber: «Ich sehe mich nicht, wie ich in einem Büro arbeite.» Deshalb wehrt er sich gegen den Entscheid der Suva. Denn: «Im Büro würde man mich sowieso nicht wollen. Ich kann nur als Säger arbeiten. Ich habe ja mein ganzes Leben nichts anderes gemacht.»
Aus seiner Sicht würde er seiner Passion gerne wieder nachgehen. Aber: Thürig könnte die auftretenden Schmerzen nur schwer ertragen, denn er reagiert allergisch auf Schmerzmittel. Und es kam noch dicker: Im Juli vergangenen Jahres machte ihm auch noch ein Wirbelbruch das Leben schwer.
Durchfüttern bis zur Pensionierung
Das traurige Resultat: Stefan Thürig ist mittlerweile ausgesteuert. Er hat keinen Job, erhält keine IV. Stattdessen lebt er von den Ersparnissen sowie der Rente seiner Frau Esther (64). Diese ging in Frühpension. Jetzt füttert sie ihren Mann durch. Sie sagt: «Wir haben es schön miteinander. Aber irgendwann ist auch mein Geld weg.»
Den Thürigs bleiben praktisch keine Optionen mehr. Darum sieht der Plan der Ehefrau folgendermassen aus: «Weiter für Stefan bezahlen, bis er sich in die Pensionierung retten kann.»