«Ich habe ihn sieben Stunden am Stück gestillt»
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Baby hatte Mühe beim Trinken:«Ich habe ihn sieben Stunden am Stück gestillt»

Ärzte gaben den Eltern Aurelia I. (33) und Marko G. (31) die Schuld – bis endlich die Diagnose feststand
«Unser Baby hatte 20 Monate lang Schmerzen!»

Monatelang war das Füttern von Baby Emilio ein Kampf. Nach fast zwei Jahren kam endlich die erlösende Diagnose. Die Eltern aus dem Kanton Bern sind sich sicher: Wenn sie nicht Druck gemacht hätten, würden sie das Leiden ihres Sohnes bis heute nicht kennen.
Publiziert: 31.03.2022 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 31.03.2022 um 07:58 Uhr
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Unterdessen kann die junge Familie aus dem Kanton Bern wieder lachen.
Foto: Luisa Ita
Luisa Ita

Aurelia I.* (33) und Marko G.* (31) haben Tränen in den Augen: Ihr Sohn Emilio* (1) isst und trinkt endlich! Sie sind zwar sehr erleichtert, doch was sie in den letzten 20 Monaten durchmachen mussten, hat bei den Eltern aus dem Kanton Bern Spuren hinterlassen. «Ich glaube, das braucht noch etwas Zeit, bis wir uns von allem erholt haben», so Aurelia I., die einen elfjährigen Sohn aus einer früheren Beziehung hat. Der frischgebackene Papa meint: «Ich denke nicht gerne an die letzten Monate zurück.»

Ihr erstes gemeinsames Kind kam am 2. Juni 2020 per geplantem Kaiserschnitt zur Welt. Dieser Tag hätte das Liebesglück perfekt machen sollen. Doch schon wenige Wochen später war das Paar am Verzweifeln: «Emilio hatte grosse Mühe mit dem Trinken.» Die gelernte Pflegeassistentin, die seit 2017 wegen psychischer Probleme von einer IV-Rente lebt, habe das Gefühl gehabt, ihr Sohn leide ständig Hunger und bekomme nicht genügend Milch.

Sieben Stunden am Stück gestillt

«Und irgendwie hat es auf uns gewirkt, als hätte er andauernd Bauchschmerzen», sagt der Vater. Seine Freundin ergänzt: «Aber man hat uns dann gesagt, er müsse jetzt zuerst einfach auf der Welt ankommen und wir sollten ihm Zeit geben.»

Doch die Situation habe einfach nicht bessern wollen, seufzt die zugezogene Schaffhauserin: «Ich habe Tag und Nacht gestillt, als er knapp zwei Monate alt war sogar einmal ganze sieben Stunden am Stück!» Nach diesen Strapazen habe sie mit dem Stillen aufgehört und auf Milchpulver-Schoppen sowie gespendete Muttermilch umgesattelt – doch Emilio habe weiter kaum getrunken.

Keine fröhlichen Weihnachten

Weil sie sich von den Ärzten und Hebammen nicht ernst genommen fühlten, recherchierten Aurelia I. und Marko G. selbst. «In einer Facebook-Gruppe habe ich dann gelesen, dass möglicherweise Lippen- und Zungenband die Ursache des Problems sein könnten», erzählt die Frau. Fehlbildungen an diesen Körperteilen können etwa zu Stillschwierigkeiten führen und später sogar zu Zahnfehlstellungen, Sprach- und Mimikstörungen.

Die Mutter berichtet, sie habe ihre Stillberaterin darauf angesprochen, doch die habe abgewunken: Es sei alles normal. «Und wir haben ihr geglaubt.» An Weihnachten 2020 habe sich die Situation aber zugespitzt. «Emilio war sehr schwach», erinnert sie sich. «Die Notfallärztin wollte uns ins Spital schicken, doch ich wollte nicht, dass er zwangsernährt wird.»

Emilio wird operiert

Das Paar blieb daheim und organisierte an Heiligabend eine andere Stillberaterin, die vorbeikam. «Sie stellte fest, dass Zungen- und Lippenband viel zu kurz sind», erklärt Aurelia I. Kurz darauf fand der laut den Eltern längst überfällige Eingriff statt.

«Nach dem Lasern gab es endlich eine Besserung», so die Mutter. «Aber irgendwie war es immer noch nicht gut.» Marko G. pflichtet ihr bei: «Er hat nur in bestimmten Positionen getrunken, und wir mussten ihn immer ablenken, mit Spielzeug oder mit Videos.»

Das Paar ging von Arzt zu Arzt. Emilio weinte in dieser Zeit viel, sein grösserer Bruder kriegte kaum Aufmerksamkeit ab. Die sowieso schon angeschlagene Mutter brauchte daheim viel Hilfe von ihrem Partner, der sich deswegen habe krankschreiben lassen. Schliesslich habe der Metallbauer seinen Job verloren.

«Mutter war das Problem»

Die Ärzte schrieben die Fütterungsprobleme daher den schwierigen Umständen zu. «Die Ernährungsstörung sehen wir am ehesten im Rahmen einer Interaktionsstörung», steht etwa in einem Bericht, der Blick vorliegt. «Mutter war das Problem», heisst es in einem anderen Dokument.

Doch die beiden geben nicht auf, pochen auf weitere Abklärungen und recherchieren weiter. «Wir hatten einfach das Gefühl, das etwas mit seiner Verdauung nicht stimmt und es nicht an uns liegt. Man hat uns jedoch immer vorgehalten, dass Emilio ja in einem sehr guten Zustand sei. Aber das war einfach der Lohn für den grossen Aufwand, den wir für die Fütterung betrieben hatten.»

Diagnose nach 20 Monaten: Allergie!

Schliesslich stellt sich heraus: Emilio hat eine Milcheiweiss-Allergie! «Und die haben uns einfach die Schuld gegeben», so die Eltern kopfschüttelnd. Seit sie die Ernährung umgestellt hätten, entwickle sich der bald zweijährige Bub prächtig: «Mit dem Gang an die Öffentlichkeit wollen wir Eltern in ähnlichen Situationen Mut machen, sich auf ihre Instinkte zu verlassen.»

Dass ihr Kind so lange leiden musste, macht Aurelia I. und Marko G. traurig: «Jeden Tag hatte er Schmerzen, und niemand kam auf die Idee, mal sein Blut auf eine Allergie zu testen. Hoffentlich ist es den Ärzten eine Lehre!»

* Namen geändert

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