Ärztepfusch im Insel-Spital? – Hebamme, Assistenzärztin und Nierenarzt vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland
Mutter (†43) starb nach Geburt an Insulin-Überdosis

Drei Jahre lang lag sie nach der Geburt ihres vierten Kindes im Wachkoma, bevor sie schliesslich starb: Wurde Charlotte S. (†43) Opfer eines Ärztepfuschs? Eine Hebamme, eine Assistenzärztin sowie ein Nierenarzt müssen sich seit Dienstag in Bern vor Gericht verantworten.
Publiziert: 24.11.2021 um 09:09 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2021 um 11:10 Uhr
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Am Dienstag mussten sich eine Hebamme, eine Assistenzärztin und ein Nierenarzt vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verantworten.
Foto: Keystone
Luisa Ita

Ohne diese eine verhängnisvolle Spritze könnte Charlotte S.* (†43) heute möglicherweise noch am Leben sein — so die These der Staatsanwaltschaft am Dienstag vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland. Sie beschuldigt eine Hebamme, eine Assistenzärztin sowie ein Nierenarzt der fahrlässigen Tötung.

Der Ursprung des Dramas liegt bereits einige Jahre zurück. Es war Ende September 2015, als die Bernerin mit afrikanischen Wurzeln ihr viertes Kind im Inselspital per Kaiserschnitt zur Welt brachte. Wenige Stunden nach der Entbindung gab es Komplikationen.

Hebamme rechnete die Dosis falsch aus

Es war schon im Vorfeld bekannt, dass die Frau an einer Niereninsuffizienz litt — eine chronische Krankheit, bei der die Funktion der Nieren langsam immer weiter abnimmt. Der Kaliumwert sei bei der frischgebackenen Mutter konstant hoch geblieben, es habe die Gefahr von Herzrhythmusstörungen gedroht. Am frühen Morgen spitzte sich die Lage laut der Anklageschrift der Berner Staatsanwaltschaft weiter zu und der angeklagte Nierenarzt habe eine Therapie angeordnet, um den Kaliumwert zu senken.

Die zuständige Assistenzärztin soll den Auftrag entgegengenommen und die Hebamme gebeten haben, eine entsprechende Insulin-Glukose-Lösung vorzubereiten. Dabei passierte der erfahrenen Fachkraft offenbar ein fataler Fehler: Sie verrechnete sich laut Anklage grob und verwendete eine zehnfach zu hohe Dosis. Ausserdem habe sie auch eine falsche Spritze verwendet. «Ich dachte, es geht schneller mit dieser Spritze», sagte die Beschuldigte am Dienstag bei ihrer Befragung vor Gericht.

Insulin-Überdosis führte zu Hirnschaden

Hätte sie korrekterweise die Insulin-Spritze verwendet, wäre ihr der folgenschwere Rechenfehler aufgefallen, heisst es vonseiten der Staatsanwaltschaft. Doch so wurde der vierfachen Mutter das viel zu hoch dosierte Medikament schliesslich unbemerkt verabreicht.

Bei einer Arztvisite um 11.10 Uhr habe dann niemand nach dem Blutzuckerwert gefragt — ein weiterer Fehler, den die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer den beschuldigten Medizinern vorwirft. Denn um 11.35 Uhr habe die Patientin einen Krampfanfall wegen der Insulin-Überdosis erlitten und dabei wichtige Hirnfunktionen verloren, sie sei in eine Art Wachkoma gefallen.

Nach drei Jahren im Wachkoma verstarb die Mutter

«Es hätte lediglich von jemandem den Satz gebraucht: ‹Vergesst nicht die Blutzucker-Messung›», führt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer aus. Sie begründet, dass laut Gutachten die Insulin-Überdosis nämlich noch hätte ausgeglichen werden können, wenn man bei der Visite den Fehler bemerkt und eine Glukose-Lösung verabreicht hätte. Doch dafür hätte der angerichtete Schaden eben zunächst überhaupt auffallen müssen: «Alle drei Beschuldigten wollten der Frau helfen, doch das Gesamtbild ging unter. Es handelt sich um einen klassischen Denkfehler.» Jeder habe sich auf den anderen verlassen und dabei sei eine Fehlerkette entstanden.

Drei Jahre vergingen — der Zustand von Charlotte S. verbesserte sich laut Anklageschrift nicht, sie sei bettlägerig gewesen und nach wie vor im Wachkoma-Zustand. Zudem habe sie mit diversen Infekten etwa wegen der künstlichen Luftröhrenöffnung oder dem Urinkatheter gekämpft. So bildete die 43-Jährige angeblich auch zunehmend antibiotikarestistente Bakterien, zum Tod geführt habe laut einem Gutachten dann mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Lungenentzündung. Am 20. August 2018 verstarb die Mutter von vier Kindern.

Wird es einen Schuldspruch geben?

Während die Hebamme am Dienstag vor Gericht ihre Schuld sowie den Rechenfehler eingestanden hatte und sich bei den Angehörigen entschuldigte, zeigten sich die Assistenzärztin und der Nierenarzt zwar auch betroffen — doch sie versuchten, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Der Nierenarzt gab an, lediglich beratend zur Seite gestanden zu sein. Die Assistenzärztin, die damals fünf Jahre Berufserfahrung hatte, spricht von fehlendem Fachwissen ihrerseits.

Auch wenn die Staatsanwaltschaft von einem fatalen Unfall und nicht von Vorsatz ausgeht, will sie einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung für alle drei Beschuldigten und fordert am Dienstag vor Gericht bedingte Geldstrafen. Die Verteidiger werden ihre Forderungen für die drei Angeklagten erst am Mittwoch stellen, das Urteil in diesem tragischen Fall fällt voraussichtlich am Donnerstag.

* Name geändert

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