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Der Ständerat sperrt sich gegen unabhängige Qualitätskontrolle
Ärzte dürfen sich selber überwachen

Der Nationalrat wollte endlich Ernst machen mit mehr Qualitätskontrollen im Gesundheitsbereich. Doch die ständerätlichen Gesundheitspolitiker haben sich auf die Seite der unwiligen Ärzte geschlagen.
Publiziert: 18.02.2019 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 16.03.2021 um 18:02 Uhr
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Bei welchem Chirurg sollte man sich unter Messer legen – und bei welchem nicht? Dazu fehlen in der Schweiz Daten.
Foto: Keystone
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Sermîn FakiPolitikchefin

Zerbröselnde Wirbelsäulenimplantate, Operationen am rechten statt am linken Arm, Fehldiagnosen und falsche Behandlungen: Obwohl das Schweizer Gesundheitswesen im internationalen Vergleich gut ist, kommt es auch hier zu Kunstfehlern und Ärztepfusch.

Beispielsweise weiss man, dass jede 50. Hüftprothesenoperation ein Fehlschlag ist. Bei welchem Chirurgen man sich auf keinen Fall unters Messer legen sollte, hingegen nicht.

Unwillige Ärzte sollten sanktioniert werden

Immerhin: Wer ins Spital muss, kann herausfinden, wo es zu weniger Wundinfektionen kommt. Denn alle Spitäler lassen bestimmte Indikatoren messen und publizieren die Ergebnisse (siehe Box). Für den ambulanten Bereich fehlen solche Qualitätskontrollen jedoch komplett. Wer wissen will, ob der eigene Hausarzt gut ist, muss sich auf sein Bauchgefühl verlassen.

Das sollte sich ändern. Im letzten Sommer beschloss der Nationalrat mit grosser Mehrheit flächendeckende Qualitätskontrollen für alle Gesundheitsbereiche. Ärzte, die sich weigern, mitzumachen, sollten bestraft werden können – mit Bussen oder gar dem Entzug der Zulassung.

Um das durchzusetzen, wollte die grosse Kammer eine Qualitätskommission schaffen, in der alle Beteiligten Einsitz nehmen würden: Kantone, Krankenkassen, Ärzte und Spitäler, Patientenvertreter und Experten.

Dem Ständerat ist das zu viel Kontrolle

Das aber ist dem Ständerat zu viel. Zu viel Kontrolle und zu viel Staat, denn die Kommission würde vom Bundesrat eingesetzt und sie würde diesen auch beraten. Auch die konkreten Qualitätsmassnahmen würde die Landesregierung verordnen – verpflichtend.

Die Gesundheitskommission der kleinen Kammer (SGK) setzt stattdessen auf eine private «Gemeinsame Organisation» aus Kantonen, Ärzten, Versicherern und Patienten. «Das sind schliesslich die Experten», so SGK-Präsident Joachim Eder (67).

«Das ist ein Papiertiger»

Kritiker behaupten, dass hinter dem Modell des Ständerats nicht die behauptete Überlegung stünde, sondern vielmehr das Lobbying von Ärzten und Spitälern. «Den Widerstand kann ich mir nur so erklären, dass sich die Ärzte nicht gern über die Schulter schauen lassen», sagt Verena Nold (56), Direktorin des Krankenkassenverbands Santésuisse.

Sie lässt im Gespräch keine Zweifel aufkommen: Die Idee des Ständerats sei ein «Papiertiger», mit dem sich gar nichts ändern würde. «Eine privatrechtliche Organisation kann keine Sanktionen durchsetzen», so Nold. Und das bedeute, dass sich die Ärzte weiterhin um die Verbesserung der Qualität foutieren würden, ergänzt Santésuisse-Präsident und SVP-Nationalrat Heinz Brand (63).

Stöckli: Hoffen auf Freiwilligkeit ist «naiv»

Nold verweist auf Beispiele wie die Equam-Stiftung (siehe Box), von der sich nur jene Praxen überprüfen liessen, die ohnehin gut seien. Angesichts der Erfahrungen meint auch SP-Ständerat Hans Stöckli (66), dass es «naiv» von seinen Ständeratskollegen sei, auf Freiwilligkeit zu bauen: Schon beim Tarifstreit hätte sich gezeigt, dass die Ärzte selbst nicht vorwärtsmachen.

Auch Stöckli findet: Es brauche das Modell des Nationalrats. «Santésuisse ruft auch nicht gern nach dem Staat», bestätigt Nold. Aber die Erfahrung zeigt, dass es ihn leider braucht, um endlich vorwärtszukommen und die Qualität in der Medizin zu verbessern.»

Das habe nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten, sondern auch auf deren Portemonnaie. Denn zur Qualität gehört auch, dass unnötige Behandlungen gar nicht erst durchgeführt werden. Es gehe darum, Leid und unnötige Kosten zu verhindern, so Nold. «Wer seine Qualität messen lässt, kann bis zu 20 Prozent unnötiger Behandlungen vermeiden. Das ist gut für die Patienten und die Prämienzahler.»

Dem Ständerat ist das offensichtlich egal. Am Dienstag wird die Kommission das Geschäft fertig beraten. Eder geht davon aus, dass es in der Frühlingssession auch eine Mehrheit im Rat findet.

Spitäler sind schon weiter

Die Qualität der Schweizer Spitäler wird bereits verglichen. Der Nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) führt landesweit einheitliche Qualitätsmessungen durch und veröffentlicht die Resultate auf seiner Website. So können Patienten erfahren, wie oft es in den Spitälern zu Infektionen oder Wundliegen kommt. Eine Rangliste erstellt ANQ allerdings nicht.

Der Verein wird getragen vom Verband der Spitäler H+, den Versicherungen und Kantonen. Zwar haben sich alle Spitäler, Reha- und Psychiatriekliniken zum Mitmachen verpflichtet. Aber: Der ANQ kann nur umsetzen, was diese drei Träger im Konsens beschliessen. Und so lassen manche Vergleiche auf sich warten. Beispiel Wirbelsäulenimplantate: Hier wird seit langem gestritten, ob und wie die Qualität gemessen wird.

Im ambulanten Bereich fehlt eine solche Qualitätsoffensive bis heute. Equam, die Stiftung zur Förderung der Qualität und Patientensicherheit in der ambulanten Medizin, überprüft die Qualität von Ärzten und Praxen zwar und zertifiziert diese auch. Aber: Ob eine Praxis mitmacht, entscheidet sie selbst. 2017 waren nur 254 Praxen und 611 Ärzte Equam-zertifiziert.

Wieder anders arbeitet die Stiftung Patientensicherheit Schweiz. Sie wertet neuste Forschungsergebnisse aus – etwa dazu, auf welche Art ein Krebsmedikament am besten verabreicht wird – und spricht Handlungsempfehlungen aus. Doch an diese muss sich niemand halten. Sermîn Faki

Die Qualität der Schweizer Spitäler wird bereits verglichen. Der Nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) führt landesweit einheitliche Qualitätsmessungen durch und veröffentlicht die Resultate auf seiner Website. So können Patienten erfahren, wie oft es in den Spitälern zu Infektionen oder Wundliegen kommt. Eine Rangliste erstellt ANQ allerdings nicht.

Der Verein wird getragen vom Verband der Spitäler H+, den Versicherungen und Kantonen. Zwar haben sich alle Spitäler, Reha- und Psychiatriekliniken zum Mitmachen verpflichtet. Aber: Der ANQ kann nur umsetzen, was diese drei Träger im Konsens beschliessen. Und so lassen manche Vergleiche auf sich warten. Beispiel Wirbelsäulenimplantate: Hier wird seit langem gestritten, ob und wie die Qualität gemessen wird.

Im ambulanten Bereich fehlt eine solche Qualitätsoffensive bis heute. Equam, die Stiftung zur Förderung der Qualität und Patientensicherheit in der ambulanten Medizin, überprüft die Qualität von Ärzten und Praxen zwar und zertifiziert diese auch. Aber: Ob eine Praxis mitmacht, entscheidet sie selbst. 2017 waren nur 254 Praxen und 611 Ärzte Equam-zertifiziert.

Wieder anders arbeitet die Stiftung Patientensicherheit Schweiz. Sie wertet neuste Forschungsergebnisse aus – etwa dazu, auf welche Art ein Krebsmedikament am besten verabreicht wird – und spricht Handlungsempfehlungen aus. Doch an diese muss sich niemand halten. Sermîn Faki

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