Bergsteiger-Legende Messner
«Der Alpinismus ist vor die Hunde gegangen»

Ein Helfer liegt am K2 im Sterben – und Bergsteiger lassen ihn einfach liegen. Reinhold Messner ist entsetzt.
Publiziert: 12.08.2023 um 20:06 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2023 um 20:15 Uhr
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Der Südtiroler Reinhold Messner ist eine Bergsteiger-Legende.
Foto: imago images/Andreas Weihs
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Das Schicksal von Mohammed Hassan (27) bewegt die Welt. Er kam bei einer K2-Expedition ums Leben. Er war Teil eines Helfertrupps, der für Himalaya-Touristen Seile befestigen und reparieren sollte. Der Tod des Pakistaners löste Entsetzen aus. Videos zeigen: Während der Mann um sein Leben kämpft, steigen andere Bergsteiger über ihn. An einer Schlüsselstelle, wegen ihrer Enge «Flaschenhals» genannt. Bergsteiger kommen hier – etwa 400 Meter vor dem Gipfel – nur einzeln vorwärts.

Der K2 in Pakistan ist mit 8611 Metern der zweithöchste Berg der Welt und anspruchsvoller als der Mount Everest. Bisher haben ihn nur gut 300 Menschen bezwungen – darunter der legendäre Bergsteiger Reinhold Messner (78). Der Südtiroler kritisiert die mangelnde Solidarität am Berg.

Herr Messner, was empört Sie an der K2-Tragödie am meisten?
Reinhold Messner: Der Egoismus ist stärker als die Solidarität mit Verunglückten. Jeder Alpinist in der Schweiz weiss: Es ist selbstverständlich, eine Tour abzubrechen und einen Verunfallten zu retten. Empathie, diese ganz selbstverständliche Hilfsbereitschaft, ist verloren gegangen.

Woran liegt das?
Am K2 steigen Gänsemarschgruppen hoch. Die Menschen zahlen viel Geld an Reiseveranstalter, die versprechen: «Wir bringen euch auf den Berg, wir präparieren Pisten und Fixseile.» Wenn ich eine Besteigung mit Gipfelgarantie gekauft habe, dann will ich das auch unbedingt haben. Alles andere ist mir egal. Mit Bergsteigen hat das nichts zu tun.

Sie kritisieren die Reiseveranstalter?
Die sitzen im Basislager und dirigieren das Ganze. Das müssen die Kundinnen und Kunden beurteilen. Sie haben bezahlt – und wollen eine Leistung dafür. Das ist Konsum und hat nichts mit Alpinismus zu tun. Es wäre gut, wenn Veranstalter stärker auf Gefahren hinwiesen. Viele buchen eine Tour, weil sie das Gefühl haben: «Da kann nichts passieren, das ist sicher!»

Braucht der Bergsport mehr Ethik?
Ich spreche nicht von Ethik. Es ist eine menschliche Selbstverständlichkeit, anderen zu helfen, wenn sie in Not sind. Wenn man in einer kleinen Gemeinschaft unterwegs ist, funktioniert das. Ich kann dann gar nicht an einem Sterbenden vorbeigehen. In einer grösseren Gruppe hingegen ist es wie in der Grossstadt: Die Solidarität nimmt ab. Im Dorf gibt es noch die Nachbarschaftshilfe und die Empathie für andere.

Sie sind der bekannteste Bergsteiger der Welt. Haben Sie die Büchse der Pandora geöffnet?
Gegen diesen Vorwurf wehre ich mich energisch! Wer geht heute noch alleine auf Achttausender? Mit Massentourismus hat der traditionelle Alpinismus nichts zu tun. Traditioneller Alpinismus ist das Gegenteil von diesem Humbug. Die Menschen wollen unbedingt neue Rekorde aufstellen, koste es, was es wolle. Sie sehnen sich nach Anerkennung. Es wäre gut, wenn die Gesellschaft den Rekordjägern diese Anerkennung verweigern würde. Der Alpinismus ist vor die Hunde gegangen.

Ob Sie wollen oder nicht: Sie haben die Lust aufs Gipfelstürmen beflügelt.
Ich habe schon vor über 30 Jahren vor Massentourismus im Hochgebirge gewarnt. Damals hiess es: «Der Messner gönnt den anderen die 8000er nicht!»

Das Unglück ereignete sich am Flaschenhals.

Würde mehr Regulierung helfen?
Alpinismus ist nicht regelbar. Der Alpinist geht in eine Wildnis, in die er eigentlich nicht gehört. Wie weit er dabei gehen kann und ob er den Schwierigkeiten gewachsen ist, muss er selbst entscheiden. Wenn er die Verantwortung an jemanden abgibt, der für viel Geld verspricht: «Du kannst das schon», beginnt das Problem. Wir brauchen Eigenverantwortung am Berg.

Tourismus lässt sich sehr wohl regulieren!
Wenn der Gesetzgeber bestimmt, was am Berg erlaubt ist und was nicht, hat das mit Alpinismus nichts mehr zu tun. Wir haben schon vor 30 Jahren beim König von Nepal vorgesprochen und vor Hundertschaften am Berg gewarnt. Der König hat geantwortet, dass er auf das Geld angewiesen ist. Allein die Genehmigungsgebühr kostet 11 000 Dollar. Das ist für den Staat eine gute Einnahmequelle.

Wäre das ein Thema für die Entwicklungszusammenarbeit?
Wir können den Nepalesen oder Pakistanern das Geschäft nicht verbieten. Die müssen selber draufkommen, wie sie die Berge optimal nutzen wollen. Mir geht es um etwas anderes.

Also: Worum geht es Ihnen?
Wir müssen den Berg als Berg annehmen und nicht der Lächerlichkeit preisgeben für Leute, die keine Ahnung haben. Dann passieren die Unglücke. Ein Berg strahlt Unendlichkeit und Erhabenheit aus. Ein Berg ist absichtslos. Der Berg macht keine Fehler, allein wir Menschen machen Fehler. Wenn wir das nicht erkennen, wird es in Zukunft noch viel schlimmere Unglücke geben.

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