Die Aufnahmen sorgen weltweit für Entsetzen: Ein Bergsteiger liegt schwer verletzt am K2. Er braucht dringend Hilfe. Doch niemand kümmert sich um den sterbenden Mann. Ohne Rücksicht klettern die Bergsteiger über ihren Kollegen. Sie wollen um jeden Preis zum Gipfel des 8611 Meter hohen Berges. Das Todesurteil für Bergführer Mohammed Hassan (†27). Der Pakistani stirbt. Das Protokoll des tragischen Vorfalls vom 27. Juli.
2 Uhr
Mohammed Hassan ist mit 200 Bergsteigern auf dem Weg zum Gipfel des K2. Er arbeitet für das Unternehmen Lela Peak Expedition. Das Unternehmen bietet verschiedene Reisen und Abenteuer in den Gebirgen Baltistans an. Der Seven Summit Club beauftragte Hassan damit, den Seilmonteuren der Gruppe zu helfen und, wenn nötig, die Seile zu reparieren.
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Er befindet sich das erste Mal am K2. Zuvor hatte er zwar schon viele Berge erklommen, jedoch keinen Gipfel in der Grössenordnung. So weit oben ist die Luft dünn. Daher hatte Hassan auch eine Sauerstoffmaske aufgezogen. Unter den Alpinisten befinden sich auch die norwegische Extrembergsteigerin Kristin Harila und ihr nepalesischer Bergführer Tenjin Sherpa. Sie sind auf Rekordkurs. Ihr Ziel: die schnellste Besteigung der 14 höchsten Berge weltweit.
2:10 Uhr
Die Gruppe erreicht die gefährlichste Stelle ihrer Route. Sie wird «Bottleneck» (zu Deutsch: Flaschenhals) genannt, weil es dort sehr schmal ist. Die Bergsteiger können nur einzeln weiter vorwärts. Es sind noch zirka 400 Meter bis zum Gipfel. Jetzt entscheidet sich, ob man den K2 bezwingt oder wieder zurückmuss. Es ist dunkel. Die Bergsteiger haben ihre Stirnlampen an.
2:20 Uhr
Laut einem Bergsteiger ist Mohammed Hassan plötzlich ausgerutscht und gestürzt. Dabei geht die Sauerstoffmaske des Pakistani kaputt. Er hängt mit dem Kopf nach unten an seinem Seil. Wie viel Zeit bis zu seiner Rettung vergeht, ist unklar. Am Ende wird Hassan wieder zurück zum «Bottleneck» gezogen.
2:30 Uhr
Die Gruppe bewegt sich weiter vorwärts. Bergsteiger für Bergsteiger geht es über die enge Stelle Richtung Gipfel. Der Aufstieg ist mühsam. Und: Er muss schnell gehen, schliesslich sind zwei Alpinisten auf Rekordjagd.
2:35 Uhr
Fünf Lawinen lösen sich direkt beim «Bottleneck». «Eine davon hat einige von uns auf dem Weg nach oben getroffen. Glücklicherweise wurden wir nicht verletzt und konnten uns aus dem Schnee befreien. Wir überlegten, ob wir weitergehen oder aufgeben sollten», sagt Bergsteigerin Silvia Azdreeva zu «Explorersweb». Die Bulgarin ist an dem Tag mit dabei und bezwingt wenig später den K2-Gipfel. Ob Mohammed Hassan von der Lawine getroffen wird, ist nicht klar. Aufnahmen zeigen, dass er sich später immer noch an der Stelle beim «Bottleneck» befindet. Sie stammen von Philip Flaemig, der die Besteigung filmt. Er entscheidet sich, ins Lager zurückzukehren. «Ich wartete noch zwei Stunden und begann, die Gruppe beim Aufstieg und die andere Gruppe bei der Querung zu filmen.»
4:30 Uhr
Flaemig beginnt mit seinen Drohnenaufnahmen. Es noch dunkel. Mohammed Hassan liegt zu der Zeit immer noch auf dem schmalen Weg zum Gipfel.
5:30 Uhr
Die Sonne ist vor 20 Minuten aufgegangen und Flaemig beendet seine Drohnenaufnahmen. Zusammen mit seinen Kollegen macht er sich auf den Weg zurück ins Basislager.
Juli
«Am nächsten Tag kopierte ich das Material auf den Computer», so der Kameramann. Und er macht eine furchtbare Entdeckung. Während die Bergsteiger weiter zum Gipfel klettern, liegt beim «Bottleneck» ein Mensch im Weg. Es handelt sich um Mohammed Hassan. Und die Aufnahmen zeigen: Er bewegt sich noch. «Auf dem Video konnte man deutlich sehen, dass der Mann sein Bein bewegte, er war also offensichtlich am Leben.» Zuvor wurde behauptet, der Pakistani sei 45 Minuten nach seinem Sturz verstorben.
Wann genau das Herz von Mohammed Hassan aufhörte zu schlagen, ist unklar. Fakt ist: Als sich die Bergsteiger auf den Rückweg vom Gipfel machen, lebt er nicht mehr. Die Alpinistin Azdreeva zu «Explorersweb»: «Auf dem Rückweg mussten wir über seine Leiche springen.»
Hassan hinterlässt eine Frau und drei Kinder zwischen zwei und sechs Jahren. «Ich werde meinen Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen», soll der Bergsteiger zu seinen Verwandten gesagt haben, als klar war, dass er auf den K2 darf.