Wenige Wochen ist es her, dass bürgerliche Parlamentarier mit aller Kraft dem Bundesrat Lockerungsschritte zu diktieren versuchten. Tagelang wogte der Streit hin und her, am Ende verzichteten die Räte darauf, ein fixes Datum für Öffnungen im Covid-Gesetz festzuschreiben. Es blieb beim lauten Schimpfen und einer nicht bindenden Erklärung an die Adresse der Landesregierung.
Die Idee, Öffnungen Schritt für Schritt vorab zu definieren, ist damit nicht verschwunden. Im Gegenteil: Morgen Montag lanciert die SVP in der Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats mehrere Anträge, die eine planmässige und zügige Lockerung der bundesrätlichen Massnahmen verlangen. Erneut werden Bürgerliche aus anderen Fraktionen die Rechtspartei unterstützen. Zu lange habe der Bundesrat die Anliegen des Parlaments und der Kantone ignoriert, sagt SVP-Nationalrätin Esther Friedli (43). «Aus einer erneuten Aufforderung der WAK sollte er endlich die richtigen Schlüsse ziehen», so die St. Gallerin. Die radikalste Forderung: Die Kommission soll vom Bundesrat verlangen, die Restaurants und sämtliche Betriebe in den Bereichen Kultur, Unterhaltung, Freizeit und Sport am 19. April zu öffnen. Schutzkonzepte sind darin Pflicht, Bund und Kantone könnten zusätzliche Beschränkungen verfügen. Ein zweiter Antrag lautet praktisch identisch, verschiebt die Öffnung aber um ein paar Tage auf den 1. Mai.
Schluss mit Maskenpflicht?
Der dritte und aussichtsreichste Vorschlag der SVP verzichtet auf ein konkretes Datum, der Bundesrat wird darin aber aufgefordert, rasch einen Öffnungsplan für die geschlossenen Betriebe vorzulegen. Ein Vorstoss aus der Feder von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (51, GR), vor einem Jahr die erste Maskenträgerin im Parlament, fordert nun die Aufhebung der Maskenpflicht für vollständig geimpfte Personen, «insbesondere auch am Arbeitsplatz».
Dass ihre Partei diese Forderungen nun lanciert, liege daran, dass der Bundesrat es bis jetzt unterlassen habe, der Bevölkerung eine Perspektive zu bieten. «Die Folgen sehen wir jetzt», so Friedli. «Die Jugend probt den Aufstand, Hunderttausende Menschen sind in Kurzarbeit und bangen um ihren Arbeitsplatz.» Seit Monaten stecken etwa Gastro- oder Fitnessbranche im Lockdown fest, «die Lage ist verzweifelt».
Die SVP stand schon im März nicht alleine da, als sie im Parlament die Öffnung erzwingen wollte. Auch jetzt stösst sie bei Die Mitte und im Freisinn auf Zustimmung. WAK-Mitglied und Die-Mitte-Nationalrat Leo Müller (62, LU): «Der 19. April ist wegen der benötigten Vorlaufzeit für die Betriebe vielleicht etwas früh, aber es müsste möglich sein, dass der Bundesrat den Betrieben auf Anfang Mai eine Perspektive bietet.»
Es sei durchaus realistisch, dass sich in der Kommission hierfür eine Mehrheit findet, schätzt Müller, «in der Hoffnung, dass der Bundesrat diese Aufforderung auch berücksichtigt». In der Vergangenheit überging die Regierung ähnliche Ultimaten der WAK.
Arbeitgeberpräsident fände 30'000 Ansteckungen täglich verkraftbar
FDP-Nationalrätin Daniela Schneeberger (53) trägt «die grundsätzliche Forderung nach einer verbindlichen Öffnungsstrategie» ebenso mit. «Es geht um die Existenzen zahlreicher Menschen, die seit Monaten im Ungewissen gelassen werden», sagt die Baselbieterin. Mit diesem Support aus FDP und Die Mitte hat die SVP gute Chancen auf eine Mehrheit. Zumal das neuerliche Vorpreschen kaum zufällig mit Forderungen vonseiten der Wirtschaftsverbände zusammenfällt. Der Gewerbeverband lädt am Montag zur virtuellen Pressekonferenz unter dem unzweideutigen Titel «Stopp Lockdown». Verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler verlangte im «Tages-Anzeiger» vorab schon einmal die Öffnung von Restaurants und Sportanlagen. Und Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt (60) verstieg sich am Freitag in der «Tagesschau» zur Idee, die Schweiz könne bis zu 30'000 Ansteckungen täglich verkraften, wenn die Risikogruppen erst einmal geimpft seien.
Die Grünen-Nationalrätin Regula Rytz (59, BE) warnt vor einem fixen Öffnungstermin. «Dass die SVP diese Forderung wieder aufwärmt, ist schlicht Stürmerei.» Sie gehe davon aus, dass die bürgerlichen Parteien nicht kuschten und an einer evidenzbasierten Bekämpfung der Pandemie festhielten. «Alles andere sei grobfahrlässig.»
Dass am kommenden Mittwoch weitgehende Lockerungen in Aussicht gestellt würden, sei unwahrscheinlich, heisst es aus dem Umfeld der Landesregierung. Allenfalls eine Woche später könnten substanzielle Lockerungsschritte ins Auge gefasst und ein Öffnungskonzept für Grossveranstaltungen diskutiert werden – wenn denn die Ansteckungszahlen dies zuliessen. Der Druck auf den Bundesrat wächst derweil weiter.